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Erkenntnisse nach 13 Jahren Rollenspiel-Kampagne

Am letzten Wochenende habe ich meine Star Trek-Rollenspielkampagne nach 13 Jahren beendet. Ich bin an vielen zu hochgesteckten Ansprüchen gescheitert, manches bereut, habe vieles aber auch geschafft und letztlich war ich dann doch zufrieden. Ein Rückblick mit ein paar persönlichen Erkenntnissen und einigen Plot-Ideen zum Klauen.

Logo von Star Trek Relics, aus unseren Vorspann-Video, Eigenkreation

Als ich 2002 mit meiner zweiten Star Trek-Rollenspielrunde begann – die erste war im Rahmen unserer experimentellen Donnerstagsrunde erfolgreich gelaufen, es sollten noch viele andere Star Trek-Runden folgen, keine aber mit diesem Durchhaltevermögen – war ich noch sehr unsicher, was ich eigentlich für eine Geschichte erzählen wollte. Es war auch erst mal wichtiger, die Crew eines Schiffes zusammenzustellen, und da die Spieler nicht alle typischen Posten einer Crew wie in den TV-Serien besetzen konnten, mussten erst mal einige NSCs her. Mit der Zeit gefiel es mir, NSCs zu entwickeln, teilweise wurden sie mit Geheimnissen ausgestattet, welche die Spieler entdecken konnten (oder ignorieren, wie es die Regel war) und es brachte Spaß, in so kurzer Zeit in so vielfältige Persönlichkeiten schlüpfen zu können. Manche wurden richtig flamboyant, manche blieben eher im Hintergrund, manche wurden erst später interessant – sowohl für mich, als für die Spieler. Häufig musste ich eine Notbremse ziehen, wenn NSCs drohten interessanter als die SCs zu werden. Manchmal habe ich es aber auch ausgekostet, wenn die Spieler genervt waren von einem bestimmten NSC.

Erkenntnis 1: Spieler wollen auch mal genervt sein!

In den ersten fünf Staffeln hieß die Serie noch „Guardian“
In den ersten fünf Staffeln hieß die Serie noch „Guardian“, Eigenkreation

Manche NSCs waren prädestiniert, aufzufallen und anzuecken. Richtig genervt waren meine Spieler zuerst von meiner Counselorin, Kelly Wu, die einen sehr unorthodoxen, sexualisierten Therapiestil pflegte, und mit diesen sehr soapigen Element etlichen Spielern auf die Nerven ging. Der erste Versuch, meiner Spieler dagegen war die Outtime-Diskussion, wie so jemand in einer Militärorganisation denn überhaupt durchgekommen wäre. Dass sie dabei völlig missachteten, dass ihre SC häufig genauso fragwürdig handelten, ignorierten sie geflissentlich, es ging ihnen ja darum, mich dazu bringen, den NSC herauszunehmen. Dass ich das auch temporär machen würde, kam dann überraschend: Sie entpuppte sich als Verräterin, welche im entscheidenden Augenblick den Spielercharakteren in den Rücken fiel und mit samt Raumschiffshuttle und gerade geborgener, fieser Bombe, die sie vor den Romulanern unbedingt in ihren Besitz bringen wollten, einfach so abhaute. Später drehte sich das Blatt erneut, als ihre Motivation dafür klar wurde: Sie war tatsächlich Teil von Starfleet Intelligence und hatte die Bombe tatsächlich nur vor den Romulanern (und den SCs) in Sicherheit gebracht. Sie tauchte so lange Zeit weiterhin auf, nun aber in der Rolle eines Antagonisten. Ihre aufgesetzte Art war nun eine bewusste Fassade gewesen – und sie wurde so plötzlich zu einem Publikumsfavoriten (meine Spieler sind natürlich auch das Publikum). Ich musste also die Spieler nerven, nur so konnte der NSC die Bedeutung entwickeln, hätte ich das nicht gemacht, wäre es viel langweiliger geworden. Oder um es mit John Wick zu sagen: Play Dirty!

Erkenntnis 2: Du brauchst nicht nur NSC, Du brauchst auch einen Metaplot!

Irgendwann in der ersten Staffel stand ich vor dem Dilemma, dass die Gruppe gut lief. Entsprechend brauchte ich mehr als eine Aneinanderreihung von Abenteuern, ich brauchte einen Metaplot. Oder besser gesagt: Ich wollte einen Metaplot, denn ich schaue ja auch lieber Serials als Proceduals. Nur wo einen hernehmen?

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Um es wie J. Michael Straczynski zu machen, und eine komplette Serienbibel mit 1000 Jahren in alle Richtungen zu planen, war es zu spät und es war das falsche Medium. Zum einen war das Star Trek-Universum schon recht belegt. Ich hatte die Serie kurz nach dem Dominionkrieg angelegt, also nach dem Ende der subjektiv für mich besten Star Trek-Serie bisher, Deep Space Nine. Dadurch lag nahe, dass die Sternenflotte ohnehin etwas unterbesetzt wäre, was dann auch die mangelnde Vielfalt von NSC an Bord erklären konnte*.

* Ich hatte zwar fast immer gut zehn NSC mitlaufen als Besatzungsmitglieder, aber keine Lust, noch mehr auszuarbeiten. Und die Idee einmal, dies hoch motivierten Spielern zu überlassen, führte leider auch zu nichts wirklich hilfreichen – die NSCs der zweiten Garde blieben blass, aber wurden mit unnötigen Aufgaben im Raumschiffsimulationsspiel zugekleistert, die ich unmöglich alle managen konnte geschweige denn wollte.

Ich wählte also einen anderen Ansatz: den Sandkasten. Heutige Rollenspiele, wie Fate Core, schlagen vor, dass man etwa drei Kampagnenaspekte setzt. Ich wählte für meine Teil-Kampagnen jeweils ein Oberthema. In den ersten fünf Jahren war es „Psionik“. Ich fand, dass das Star Trek-Universum das Thema eher stiefmütterlich behandelt hatte. Gleichzeitig vermischte ich es mit der Idee aus der TNG-Folge „Conspiracy“ (TNG 1x25), in der ein außerirdischer Parasitenstamm klammheimlich die Sternenflotte zu übernehmen drohte. Beides zusammen ergab die „Chimera“, ein Volk aus einer anderen Dimension, dass nicht nur telepathisch vernetzt war, sondern auch andere komplett unter ihre Kontrolle bringen konnten. Dies nutzte eine Entität aus, der ich den, aus heutiger Sicht, absolut dämlichen Namen „Dämonengeneral“* verpasste.

* Der Name kam tatsächlich durch die Serie „Doctor Who“ zustande, bei der ich 2006 die tolle Doppelfolge in der die Ood eingeführt wurden („The Impossible Planet“/„The Satan Pit“, Doctor Who 2005, 2x08–09), fast komplett für Rollenspielzwecke klaute (damals hatte ich noch kaum Spieler mit DW angesteckt und konnte das recht gefahrlos tun). Bei mir wurde Satan zum Dämon, der andere kommandiert, also: Dämonengeneral.

Die ersten fünf Staffeln* – JMS zeigte mit Babylon 5, wie cool fünf Staffeln seien können, also hielt ich mich auch an das Muster – sollten also damit gefüllt sein. Mir war auch klar, dass ich im dritten der fünf Akte den Bösewicht erstmals auftauchen lassen wollte, oder besser, dessen grausame Tat: Bis dahin im geheimen agiert, ließ er die Föderation kurzzeitig zusammenbrechen, verteilte über die Replikatorensysteme einen Virus, welche die Menschen anfälliger für Psi machen sollte, und zementierte seine Herrschaft in dem er gleichzeitig alle Gefahren für sich ausschalten wollte. Nur ein Underdog-Schiff, USS Guardian, blieb über und durfte sich zwei weitere Staffeln damit auseinandersetzen, wie sie die Föderation befreien könnten.

* Wenn man eine TV-Serie im Rollenspiel nachspielt, kann man auch genauso gut sonst eine TV-Serie simulieren. Eine Staffel war grob ein In-, wie auch Outtime-Jahr lang, mit etwas zwischen 7 und 11 Episoden (Spielabenden). Die Serie bekam auch Vorspänne und Episodentitel verpasst – Heidenarbeit das, aber es ist cool!

Erkenntnis 3: Ich kann kein Finale!

Plötzlich waren auch schon gute fünf Jahre um und das erste wirkliche Finale stand an, „Star Trek Guardian“ steuerte auf ein Ende zu. Ich hatte abgeklärt, dass ein Großteil der Spieler weiterhin dabei sein wollte (wobei es schon einige Absprünge und Neueinstiege gegeben hatte bis dahin), dennoch wollte ich das Finale nicht einfach hinauszögern, sondern einen bewussten Schnitt einlegen.

Beim Planen der also anstehenden Spin-Off-Serie, „Star Trek: Relics“, brauchte ich also wieder Ideen. Abermals bediente ich mich an ein paar Lieblingsfolgen, abermals bediente ich mich vorrangig bei TNG. Aus der Folge „So nah und doch so fern“ („The Next Phase“, TNG 5x24) sowie aus der Folge „Das Pegasus Projekt“ („The Pegasus“, TNG 7x12) nahm ich die Idee der Phasenverschiebung und führte diese Technologie bereit vorher bei Guardian ein (einerseits weil es cool war, andererseits, weil ich damit etwas wichtiges vorhatte, von dem die Spieler noch nichts ahnten). Dazu nahm ich noch die Folge „Der Tempel des Apoll“ („Who Mourns for Adonais“, TOS 2x04), wobei diese erst später wichtiger werden sollte, die Folge „Das fehlende Fragment“ („The Chase, TNG 6x20“), die Folge „Die Iconia Sonden“ („Contagion“ TNG 2x11) und ganz wichtig: „Besuch von der alten Enterprise“ („Relics“, TNG 6x04), welche letztlich Namensgeber der neuen Kampagne werden sollte.

Ich wollte gerne eine Serie ohne Raumschiffcrew machen aber wollte nicht stattdessen auf einer Raumstation sein. Meine Idee war eine Kolonie, aber es sollte eine besondere Kolonie werden: Die Kolonisation einer Dyson-Sphäre. Und um es noch interessanter zu machen, sollte diese Sphäre mal nicht irgendwo weit entfernt sein, sondern direkt um die Ecke, vor unserer Haustür: Die Sphäre war in unserem Sonnensystem, wir hatten sie nur all die lange Zeit nie entdeckt, weil sie phasenverschoben war.

Es sollte also um die Besiedelung und Entdeckung der Sphäre gehen und dabei sollten sie Stück für Stück alten Geheimnissen auf die Spur kommen. Erst mal mussten sie die Sphäre aber finden, und das begann mit einem Absturz auf eben diese: Im Finale von „Guardian“ stürzte eben dieses Schiff nach einem Endkampf (nicht ganz so grandiosen wie erhofft), als es sich phasenverschob um ein letztes Manöver im Solsektor zu fliegen, auf die Sphäre, nicht wissend, dass da überhaupt etwas im Weg sei.

Ja, Finale sind schwerer als gedacht, ich war tierisch deprimiert. Sicher, heute ist es mir ganz klar: Du solltest Dich voll auf das Finale konzentrieren und nicht gleichzeitig versuchen, einen Backdoorpiloten einzubasteln. Versuche nicht zuviel zu erschlagen auf einmal. Und lasse Dir Zeit für die Charaktere!

Erkenntnis 4: Wenn es in einer Serie schon nicht klappt, ist es keine gute Idee, es selbst auszuprobieren!

Wir setzten einige Monate später intime wieder ein. Es sollte fast vollständig neue Charaktere geben und ich wollte einen Konflikt in der Spielerschaft etablieren, den ich bei Star Trek Voyager für sehr interessant, aber völlig unterrepräsentiert empfand: es sollten zwei Gruppen geben, die nicht unbedingt die selben Ziele verfolgen. Gruppe 1 waren zivile Forscher und (später) Siedler, welche die Sphäre entdecken sollten, Gruppe 2 waren die Sternenflotten-Offiziere, welche ihnen dazu Schutz gewähren sollten und gleichzeitig damit klarkommen mussten, dass die Flotte ihnen gerade das Forschungsmandat entzogen hatte. Die Idee klang nach viel Potenzial.

Es war ein Riesenfehler.

Gleich am Anfang bekamen sich die Spieler in die Haare, aber leider nicht nur intime, sondern auch outtime. Es folgten etliche Krisensitzungen und letztlich schafften wir einen Neustart, bei dem aber einiges an vorbereiteten Plot und leider auch ein paar Spieler auf der Strecke blieben, deren Lust vergangen war.

Wie ein Kapitän musste ich als Spielleiter aber weiter größtenteils Kurs halten, kleinere Korrekturen annehmen und einbringen, aber größtenteils einfach nur auf besseres Wetter warten. Um ehrlich zu sein: Ich war an dem Punkt zwischenzeitlich bereit gewesen, alles hinzuwerfen. Immerhin ging es hier um Freundschaften, die weit wichtiger waren, als jeder Rollenspielplot. Es war die „Darkest Timeline“. Aber die Zeiten sollten auch wieder besser werden.

Erkenntnis 5: Eigentlich waren es vier Romane. Ein Band „Guardian“, drei Bände „Relics“.

Schicht um Schicht entfaltete ich den vorbereiteten Metaplot, ließ unzählige Abstecher in andere Gefilde zu, es gab auch Besuche im Spiegeluniversum (meist lustig) als auch Zeitreisen (nicht immer so lustig) und, nach Meinung meiner Spieler, viel zu wenig Raumkämpfe.

„Star Trek Relics“ lässt sich in ziemlich genau in drei Zeitphasen und Hauptplots einteilen: Die erste Phase spielte größtenteils auf der Sphäre und es wurden dabei viele Geheimnisse aufgedeckt, die den Spielern noch nichts sagen sollten, während interne Konflikte beruhigt wurden und neue Saat in der Geschichte gestreut wurde.*

* Dabei wurde nicht alle Saat von mir ausgebracht: Vielfach nahm ich eine Kleinigkeit, die von Spielern eingebracht wurde auf, und baute sie zu etwas viel Größerem aus. Manchmal fanden sie das auch erst Jahre später heraus. Es war schwer, solange still zu halten und nichts auszuplaudern. Aber lohnend.

In der zweiten Phase entdeckten die Spieler, dass es mehr als eine Sphäre gibt und bekamen es mit einem wiedererwachten Gegner zu tun: Römische Götter, die lange in „ihrem Olymp“ (die Sphäre) geschlafen hatten und nun gefälligst wieder angebeten werden wollen (hierbei klaute ich einiges gutes Material aus Peter Davids sehr unterhaltsamen „Star Trek: New Frontier“-Büchern, genau genommen aus Band 11/12, „Menschsein“/„Being Human“, und Band 12/13, „Mehr als Götter“/„Gods Above“).

Die dritte Phase brachte dann erneut einen Zusammenbruch der Föderation, der sich allerdings lange angekündigt hatte: Es gab einige heftige terroristische Attentate auf die Föderation, die Randwelten übten nach jahrelanger Vernachlässigung die Rebellion und es wurde immer mehr deutlich, dass die Föderation und damit auch die Sternenflotte ihren Zenit überschritten schien. Und dann kamen auch noch die Borg …

Erkenntnis 6: Wenn die Spieler Probleme haben, dem Plot noch zu folgen – streue mehr Plot ein und habe Geduld. Irgendwann setzt sich das Puzzle auch bei Ihnen zusammen.

Zunächst wollte ich aber noch ein Thema im Star Trek-Universum ausleuchten, welches die Serien immer nur kurz streiften, so wie die Psionik in „Guardian“. Meine Wahl fiel auf den Transhumanismus, genauer auf die Frage, was die Existenz eines Menschen ausmacht, wenn dieser sich vervielfältigen kann. Inspirationen dazu bekam ich aus der Literatur: „Krieg der Klone“ („Old Man’s War“, John Scalzi) sowie „Das Unsterblichkeitsprinzip“ („Altered Carbon“, Richard Morgan).

Eingebettet in den Mythos wollte ich zugleich eine weitere Sphäre mit Lebewesen ausstatten, die interessanter sein könnten als die Echsenwesen aus den ersten Staffeln von „Relics“. Ich schuf die „Kryosang“, eine Spezies von Menschen, die vermutlich vor Urzeiten von jenen sogar abstammten und menschlich aussahen, aber deren gesamte Kultur sich mehr oder weniger beliebig Körper („Sleeves“, ein Begriff aus Morgans Buch) züchtete, sich darein kopierte und die alte Kopie vernichtete.

Und die Crew* stolperte in diese Szenerie hinein, bekam allesamt neue Körper, hatte tierische Anpassungsschwierigkeiten, und bekam obendrein von mir einen fiesen Brainfuck am Ende der Episode verpasst: Ihre alten Körper hatten nach wie vor ihre Bewusstseins, sie hatten sich nur kopiert, und es gab sie jetzt zweimal.

* Mittlerweile war es wieder eine Crew eines Raumschiffes, ich war da offenbar genauso standhaft mit meinem Plan des Spielens an einen fixen Ortes geblieben wie Deep Space Nine.

Fortan spielte ich eine ganze Staffel lang abwechselnd die eine Version und die andere Version der Charaktere, gab den Spielern Stück für Stück die Möglichkeit, den Transhumanismus zu erkunden und philosophische Diskussionen zu führen.

Keine gute Idee.

Letztlich fiel es den meisten Spielern schwer, ihre Charaktere in den einzelnen Abspaltungen weiterzuentwickeln. Ich hatte es klar unterschätzt: Fällt es schon oft schwer genug, Intimewissen und Outtimewissen sauber von einander getrennt zu halten, war jetzt das Problem nicht nur verdoppelt sondern regelrecht potenziert. Meinen eigentlichen Plan, später die Crews zu vermischen und den Spielern offen zustellen, ob sie beide Charaktere weiterspielen wollen mögen, verwarf ich daher ganz schnell wieder. Ich kann auch jedem Spielleiter nur empfehlen, das nicht auszuprobieren.

Erkenntnis 7: Erwarte nicht, dass die Spieler alle Anspielungen und Einstreuungen kapieren. Falls doch, kannst Du Dich aber umso mehr freuen.

Mittlerweile war es das zwölfte Jahr Star Trek Rollenspiel. Und mir wurde klar, dass ich mich einem Problem wieder stellen musste, dass mir schon mal etwas entglitten war: Ein schönes Finale inszenieren.

Natürlich überlegte ich zuerst, ob ich wieder ein Spin-Off anschließen wollen würde. Aber nach einiger Zeit wurde mir klar, dass ich ein Finale nur wirklich dann realisieren könnte, wenn es auch ein wirkliches Ende darstellt. Ein weiterer Backdoorpilot, ein weiteres Spin-Off schied also für mich aus. Auch glaubte ich, dass ich nach all den Jahren genügend erzählt hatte im Star Trek-Bereich*.

* „Relics“ und „Guardian“ waren nicht meine einzigen Ansätze. Ich machte viele Anläufe über die Jahre, nach meinen ersten Versuchen mit „Star Trek: Seattle“ im Rahmen unserer Experimentierrunde am Donnerstagabend, war darunter: „Star Trek: Galaxies“ (über das Verschollen eines Raumschiffs in einer anderen, sehr fremdartigen Galaxie), „Star Trek: SF47“ (über eine Spezialeinsatztruppe, welche aus einem illegalen Klonprojekt irgendeiner fremdartigen Spezies rekrutiert wurde), eine Serie namens „Star Trek: Basics“ um Überlebende eines Absturzes auf einen Planeten voller Mysterien (ja, die habe ich erfunden, bevor „Lost“ im TV lief) sowie „Star Trek: Phoenix“, in der ich mit anderen Spielern einen Reboot von „Guardian“ probierte. Manche liefen ein paar Abende, manche ein paar Jahre, aber keine solange.

Ende 2014 teilte ich meinen Spielern mit einem versteckten Weihnachtsgruß am 24.12. mit, dass Relics enden würde. Leider verstand den eingebrachten Hinweis („All good things …“) keiner, sodass ich das beim ersten Spielen erklären musste.

Wir steuerten also definitiv aufs Finale zu, und die Spieler waren überzeugt, dass ich es nie schaffen würde, alle wichtigen Handlungsfäden noch aufzulösen.

Ich auch nicht.

Erkenntnis 8: Ordentlich Geschichten zu Ende bringen geht schneller als gedacht – wenn man richtig Buch führt und die Spieler fragt!

Ich versuchte dennoch das Gewirr von Handlungsfäden auseinanderzuheddern. Es folgten Nächte, die ich in meinen Spielleiterunterlagen* verbrachte um die wichtigsten Threads zu identifizieren. Gleichzeitig bat ich meine Spieler auch mehrfach darum, mir mitzuteilen, was ihnen noch wichtig aufzulösen sei. Es kamen tatsächlich ein paar gute Hinweise, die ich dann aufgriff.

* Seit einigen Jahren setze ich dazu auf Evernote. Das elektronische Notizbuch hat tatsächlich es geschafft, alle anderen Methoden abzulösen, die ich bis dahin nutze, ich habe da NSC-Listen, Aspekte-Verzeichnisse und vor allen meine Plotübersicht, die ich nach jedem Spielabend aktualisiere und in der ich die offenen Plots sortiere, wenn es geht den Spielercharakteren zuordne und so auch sehe, welcher Spieler mal wieder einen persönlichen Subplot brauchen könnte. Während des Spiels kann ich mit meinem Tablet schnell zwischen den einzelnen Bereichen hin- und herspringen, habe aber auch obskurere Daten griff- und suchbereit im Archiv dabei.

So, was braucht ein gutes Finale? Zum einen sollte der Metaplot zu einem Ende gebracht werden. Ich musste dazu zunächst den beliebten Transhumanismusplot mit den Kryosang zu einem Abschluss bringen, was die Spieler nicht allzu freute. Einen weiteren Brainfuck* später konnte der Plot erfreulicherweise binnen zwei Spielabende gut abgeschlossen werden.

* Die Spielercharaktere setzten irgendwann nach einem Körperwechsel ein und mussten erfahren, dass ihnen drei Tage fehlen, weil ihre Originale zwischenzeitlich verstorben waren – sie wären die Backups, die bei dem Wechsel automatisch erstellt wurden (ein typisches Transhumanismus-Trope, unter anderen bei „Backup“ von Cory Doctorow zu finden).

Die Spieler waren immer noch der Überzeugung, dass das Finale noch lange hin wäre, aber mir war mittlerweile klar: Es ist nicht mehr viel Metaplot über. Ich skizzierte grob, wie lange wir noch hatten und kündigte dann das definitive Finale an. Dies verschoben wir dann aber noch, damit möglichst viele Spieler auch dabei sein konnten und fügten stattdessen einen One Shot ein. Letztlich hätten wir da aber besser spielen sollen, denn dann wären wir mehr gewesen, ausgerechnet am Tag des Finales stand eben dieses aufgrund mehrerer Spielerabsagen auf der Kippe*.

* Meine generelle Faustformel ist es, dass ich mindestens drei Spieler haben möchte, darunter möchte ich nur sehr, sehr ungerne meistern. Erfahrungsgemäß reicht dann der Plot nie, weil die Spieler zu wenig Zeit damit ver…bringen, miteinander zu spielen und stattdessen nur mit dem Spielleiter interagieren.

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Ja, ein Finale braucht also auch Spieler. Immerhin schafften es noch drei der sechs Spieler doch noch, und wir konnten es hinter uns bringen. Und hatten all die wichtigen Bereiche drin: Auflösung von letzten Charakterplots, Auflösung des Metaplots durch eine gemeinsame Entscheidung der Spieler bei der zuvor noch darüber gestritten wurde, und zwei von mir vorbereitete Epiloge. Ein Epilog schilderte in kurzen Sätzen, was mit wichtigen NSC noch passierte, ähnlich einem Film, bei dem noch einmal die Protagonisten gezeigt wird und kurz als Tafel eingeblendet wird, wie deren Leben weiterging. Der letzte Epilog spielte in einer unbekannten fernen Zukunft, zeigte wie eine Schulklasse sich (mehr oder weniger) interessiert die Orte anschaute, an welcher die Spielercharaktere einst mit „Relics“ starteten und zwei der Charaktere tauchten sogar noch kurz mit einer unvergessenen Szene auf.

Klar, das ist kein besonders kreatives Ende, eigentlich benutze ich nur gut etablierte Tropes aus, um eine sentimentale Stimmung zu erzeugen. Aber: Warum denn nicht? Dass man einen Bogen zurückschlägt, ist ein wunderschönes Motiv in den Abschlüssen von Serien und Filmen und dass man einen emotionalen Abschluss findet, genauso. Man kann das Finale von „Lost“ kritisieren wie man will – emotional trifft es die richtigen Töne. Es geht eben nicht nur um den Metaplot – es geht auch um die Charaktere.

Erkenntnis 9: Fehler sind wichtig. Wir werden durch sie besser.

Übrig bleibt aus dreizehn Jahren vieles. Viel Erfahrung, die ich dazu gewonnen habe, auch und gerade durch Experimente, die ich gemacht habe. Dazu gehören die Fehler genauso, eigentlich sind sie sogar noch wichtiger. Ich habe gelernt, Handlungsbögen zu strukturieren, Sandkästen zu entwerfen, NSC auszuschmücken, Geheimnisse direkt vor der Nase der Spieler zu verstecken – und wie man am Besten eine Pizzabestellung für acht Leute organisiert.

Insofern auch an dieser Stelle nochmal: Danke. Danke an die 22 Spielerinnen und Spieler, die mich bei dieser Reise begleitet haben.

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Erkenntnis 10: Ich kann doch Finale!

Jetzt geht es dann also weiter mit neuen Geschichten. Und neuen Finalen. To Boldly Go, Where No Gamemaster Has Gone Before!

Ron Müller

Ron Müller

Rollenspieler auf Suche nach neuen staffelübergreifenden Handlungssträngen. Blog: Edieh, Podcast: Ausgespielt.

14 Antworten

  1. Ich war ja nur kurz dabei, aber die Szene wo wir das eine Raumschschiff in die Luft gejagt haben gefolgt vom Kurzdialog zum Episodenende „Vertrauen Sie noch dem Captain?“ – „Nein.“ werde ich nicht vergessen. Das war einfach ganz ganz großes Kino.

    1. Intrigen, Meutereien und alles andere hatten wir fast schon regelmäßig. Auch im Finale gab es den Moment, bei dem sich alle die Frage stellten, ob es richtig ist, was sie tun wollten. Das gehört einfach zu einem guten Rollenspiel dazu, dass nicht alle immer auf der gleichen Linie sind, auch wenn sie Teil der selben Mannschaft sind. :-)

  2. Danke für diese Einblicke in Eure Rollenspielwelt/-en. Da ich selber nie viel zum Spielen kam und dadurch den Fantasy-Bereich nie verlassen konnte, war dein Bericht eine kleine Bereicherung für mein nicht vorhandenes RP-Leben. Hab jetzt natürlich auch ein weinendes Auge, weil ich so etwas nie erleben durfte und gerne dabei gewesen wäre. Gruß Volker

    1. Begonnen haben wir mit dem Decipher-Coda-System für Star Trek (erschien 2001/2002). Vor etwa zwei Jahren sind wir dann auf Fate Core umgestiegen, was gemischten Anklang fand.

  3. Danke für den ausführlichen Einblick. Finde ich immer beeindruckend, von solch langen Projekten zu lesen, die sogar bis zu einem (guten) Ende geführt werden – wenn auch die vielen Spielerwechsel für mich nichts wären.

    1. Gewünscht habe ich mir die vielen Spielerwechsel auch nicht. Aber das Leben passiert, manche sind weggezogen, andere entwickelten andere Interessen, setzten andere Prioritäten oder merkten irgendwann, dass ihnen der Spiel-Stil nicht (mehr) zusagte.

      Da aber nie die Spielerschaft komplett wegbrach, stellte sich dann auch nie wirklich die Frage, abzubrechen. Aber da ich selbst abgeschlossene Geschichten weit angenehmer finde als rabiat abgewürgtes, habe ich das Finale dann auch an den richtigen Punkt gefunden. Uff!

  4. Das war auch für mich als Nicht-Rollenspieler mal interessant zu lesen. 13 Jahre – Respekt!

    1. „Stargate Universe“ kam zwei Jahre später nachdem ich diesen Plot eingeführt hatte, dort habe ich also mal nicht, oder besser: noch nicht geklaut. Wobei SG-U eine wirklich tolle Serie war, ja, vermisse sie sehr!

    1. Danke. Und danke auch für den Link, war mir tatsächlich vor vielen Jahren schon mal zufällig über den Weg gelaufen, allerdings habe ich einige Design-Entscheidungen unabhängig von dem Spielleiter sehr anders getroffen:

      Meine Sphäre war nur durch eine Transfer-Station zu erreichen, welche die Phasenverschiebung vornahm und daher gab es auch anfangs nur einfache Shuttle dort. Wegen dem Einsatz der Phasenverschiebungstechnologie gab es ordentlich diplomatischen Stress mit den Romulanern (Vertrag von Aljeron, nachdem die Föderation keine Tarntechnologie einsetzen darf) und noch dazu war innerhalb der verschobenen Sphäre der Subraum großflächig fehlend (es dauerte 8 Staffeln bis sie den Grund dafür herausfanden). Insgesamt waren sie also auch sehr auf sich selbst gestellt, wenn auch die Erde quasi am Himmel teilweise direkt sichtbar war und in nur wenigen Stunden Flug erreichbar war.