„Red Planet“ – Ein Fate World-of-Adventures-One-Shot

Zwischen Weihnachten und Neujahr biete ich schon seit einigen Jahren immer den einen oder anderen One Shot im Freundeskreis an mit dem Ziel, auch mal etwas Neues kennen zu lernen. Diesmal war es nicht wirklich etwas Neues: „Red Planet“ ist ein Fate Core World of Adventure, das gerade erst Ende 2016 erschienen ist, und das man kurz als „Sowjetische Pulp-Space-Opera“ pitchen könnte.

Weltraum-Pulp

Es ist das Jahr 3378 nach dem alten Erdkalender, doch die Erde ist zerstritten in die zwei Großkulturen der kapitalistischen USA und der korrupten pseudo-kommunistischen Diktatur der UdSSR. Doch nachdem vor 773 Jahren vierzehn Kommunen die „Nikolay Przhevalsky“ bauten und mit ihren Männern, Frauen und Kindern von der Hayes-Insel aus aufbrachen und die kapitalistisch-royalistische Diktatur der Marsianer nieder rangen, entstand auf dem Mars eine utopische Gesellschaft: die Union der Materialistischen Republiken (UdMR, kurz: Die Union).

Neben Neu Moskau und anderen Republiken auf dem Mars wurden auch Basen auf Phobos und Deimos errichtet. Im Jahr 181 nach der Landung erlebten die Siedler den ersten großen Rückschlag durch die Geometristen, einer zweidimensionalen Spezies, welche unsere Dimension erobern will. Im Jahr 227 wurde die Venus von dem dort herrschenden Feudalismus befreit. Im Jahr 521 nach der Landung konnte endlich der Friedenstag gefeiert werden, zusammen mit den sogenannten USA, UdSSR und den Geometristen (aber natürlich ohne die Piraten im Asteroidengürtel). Dieser Frieden, wenn er auch von vielen als „Stiller Krieg“ angesehen wird, dauert mittlerweile seit 252 Jahren an. Die UdMR konnte auf vielen anderen Planeten des Sonnensystems Basen errichten, lediglich auf Merkur (zu heiß und zuviele Insekten), Uranus (zu kalt) und dem erst kürzlich theoretisch gefundenen, aber bisher noch nicht entdeckten Planeten 10 wurde bisher nicht gesiedelt.

Was gilt als „normal“?

  • Strahlenrevolver und Blastergewehre
  • Fluganzüge und Jet-Pack Raumanzüge
  • Armbandkommunikatoren
  • Die meisten Planeten des Sonnensystems haben Erdähnliche Atmosphären
  • Antigrativation funktioniert dank einer Technologie basierend auf dem Element „Trirodov“
  • Überlichtgeschwindigkeit und -kommunikation ist möglich
  • Riesige, sich langsam bewegende Terraforming-Maschinen
  • Fortgeschrittene Computer (aber Roboter und KI sind in der Union verboten, das wäre zu nahe an der Sklaverei)
  • Luftschiffe zusätzlich zu Flugzeugen und Fluganzügen
  • Saubere und sichere Atomenergie

Regeln zu „Bekehrungen“

Es gelten die Regeln von Fate Core mit folgenden Zusätzen:

  • Jeder Charakter gehört einer Sozialen Klasse an, die ihm einen Bonus auf zwei Fertigkeiten einbringt (auf den Charakterzetteln bereits integriert).
  • Die Fertigkeit Fahren wird mit Pilot ersetzt.
  • Neue Fertigkeit: Ruhm (Renown). Kann und sollte im sozialen Konflikt eingesetzt werden.
  • Bekehrung: Anstelle seine Feinde umzubringen bevorzugen es Mitglieder der Union, diese zu konvertieren. Dies wird als mentaler Konflikt abgebildet, der auch bei Gruppen in Form von vier aufeinander aufbauenden Würfen funktioniert: Wahrnehmung, Empathie, Wille und Charisma. Erfolge werden gesammelt (Volltreffer bringen sogar 2 Erfolge) und abhängig davon wird ein Anteil der Gruppe konvertiert (bei 8+ Erfolgen hat man bspw. bereits 100% konvertiert).

Einstiegsabenteuer mit Hürden

Leichte Spoiler:

Die Helden werden auf einer Weltraumstation kurzerhand rekrutiert, als ein Trirodov-Frachter kurz vor dem Landeanflug umkehrt und auf den Asteroidengürtel zusteuert, in dem Piraten hausen. Bei der Verfolgungsjagd können sie tatsächlich auch auf Piraten treffen, das Endziel ist aber ein Asteroid, in dem eine riesige Kanone von einer Geometristin errichtet wurde und mit der diese sowohl die Erde als auch den Mars durch einen Riesenimpuls in eine technologische Steinzeit stürzen will.

Mit dem Abenteuer selbst hatte ich aber ein paar Probleme: Zum einen war der Einstieg ziemlich problematisch, denn die Idee, dass die Helden tatsächlich nur Touristen auf einer Raumstation waren und nur durch Zufall ins Abenteuer gezogen werden, fand ich schon sehr weit hergeholt. Notfalls sollte, laut Abenteuer, die Kommandantin eingreifen und sie dazu befehligen. Mit etwas Kreativität kann man diesen Einstieg als Spielleiter zwar einigermaßen umschiffen, aber für Anfänger-Spielleiter ist das dann doch etwas wenig.

Dann verläuft das Abenteuer extrem geradlinig, wobei es meine Spieler dann doch geschafft hatten, zwei Szenen (und damit Konflikte) komplett zu überspringen, was aber durchaus in Ordnung ging, da Kreativität immer vorgehen sollte.

Science Fiction aus der UdSSR

Ein pulpiges Space Opera-Setting ist im Prinzip ja erstmal nichts Neues. Hier ist der besondere Dreh aber die Tatsache, dass dies aus den Science Fiction-Werken der früheren Sowjetunion stammen soll und eine wirkliche Utopie schildern soll. Die Gesellschaft tut also nicht nur nach außen so, sondern ist tatsächlich eine kommunistisch/materialistische Utopie.

Zu den Regeln: Es gerät die Balance der 4er-Pyramide durch die zwei Boni (durch die neue soziale Klasse) etwas aus den Fugen, aber das ist abfederbar. Was aber problematisch erscheint, ist die Umsetzung der „Konvertierung“, oder genauer die der Massenkonvertierung, denn die klappt halt auch im Kampf gegen Mobs. Die dazu notwendigen vier Würfe sind für einen entsprechend spezialisierten SC (und einer der vorgefertigten Charaktere ist genau dies) nicht das große Problem und sind tatsächlich extrem effektiv. Andererseits gehen Mob-Kämpfe in Fate auch eher selten über vier Runden hinaus. Daher geht das nach meinem Gefühl durchaus in Ordnung und hat bei dem einen Einsatz, den wir erlebt haben, auch Spaß gehabt.

Ärgerlich sind ein paar Lektoratsfehler, bei denen die Spielmechanik falsch umgesetzt wurde: Einem vorgefertigten Spieler-Charakter fehlt ein fünfter Aspekt, und bei der Massenkonvertierung wird einmal von einer Grundschwierigkeit von +3 für die Würfe, einige Absätze später wird dann gesagt, dass die Grundschwierigkeit um einen auf +3 erhöht werden würde. Vermutlich ist +3 hier aber der korrekte Wert.

Allgemein ist „Red Planet“ aber abermals ein durchaus gelungenes Fate Core World of Adventure mit einem spaßigen, etwas anderem Setting.

„Red Planet – A World of Adventure for Fate Core“ Autor: Jess Nevins Verlag: Evil Hat Productions PDF bei DriveThruRPG
★★★★☆

Die „World of Adventure for Fate Core“-Reihe wird über Patreon finanziert, ich unterstütze diese dort. Einzelne Abenteuer lassen sich aber auch separat über DrivethruRPG als Pay-what-you-want erwerben. Derzeit erscheinen einzelne World of Adventure-Bände auch übersetzt als „Fate Abenteuerwelten“.

Die durchweg stimmungsvollen Illustrationen bei „Red Planet“ stammen von Tazio Bettin und Enrica Eren Angiolini/Evil Hat. 

Ron Müller

Rollenspieler auf der Suche nach neuen staffelübergreifenden Handlungssträngen.
docron.de