Die Idee
Ihr seid in eine andere Welt gelangt und nehmt dort gemeinsam einen Körper ein. Das Problem: Der Dämon, der euch beseitigen will vermag es immer einen von euch beiden zur Zeit zu unterdrücken. Immerhin kann während dessen die oder der andere frei handeln und versucht unterdessen, aus dieser Welt zu entkommen. Doch der Dämon wirft unterdessen immer neue Fallstricke …
Das spielleiterlose Fiasko braucht mindestens drei Spieler*innen. Doch was macht man, wenn man nur zu zweit ist? In diese Lücke will Benjamin von Allmen mit seinem Rollenspiel Zweikopfdämon vorstoßen, bei dem er sich bei einem Kniff von Everyone is John1 bedient: es gibt nur ein Körper, der aber von zwei Wesen gesteuert wird. Abwechselnd spielen die zwei Mitspielenden entweder ihren Charakter oder den Dämon, der eine in ihren sonstigen Möglichkeiten etwas eingeschränkte Spielleitung ist. Das Spannende: An einigen Stellen werden gezielt Cliffhanger gesetzt, bei denen aber zu dem Zeitpunkt noch unklar ist, welcher der Spielenden auf diesen reagieren muss.
Regeln
Zweikopfdämon ist ein Indie-Rollenspielsystem für zwei Spieler*innen2 von Benjamin von Allmen. Es bietet auch keine Option mit einer anderen Zahl zu spielen, was, nach Aussage des Autoren, auch ein Designziel war.
Durch die Zweiteilung der Aufgaben wechseln sich Spielleitung und Charakterspiel in gleichen Anteilen, wenn auch nicht zwangsläufig regelmäßig ab. Dies wird (meistens) einfach durch das Ziehen einer Spielkarte aus einem Stapel entschieden, in dem in gleichen Anteilen rote und schwarze Spielkarten eingemischt wurden. Dadurch soll jeder gleichmäßig an die Reihe kommen – wobei natürlich gerade am Ende des Spiels klar ist, welche Karten noch übrig sind und mindestens für die letzte Runde es etwas weniger Überraschungen geben wird 3.
Während man zunächst davon ausgeht, dass der Dämon-Spielende der Runde die traditionelle Spielleitungsrolle annimmt, sind die Erzählrechte tatsächlich etwas differenzierter verteilt: Die*der aktive Spieler*in ist für den Aufbau der Szene zuständig, also einer geplanten Handlung oder ein Ereignis, das in dieser Szene auftauchen soll, sowie auch für das Framing verantwortlich. Die*der Dämon-Spieler*in ist hingegen für alle NSC und die sogenannten „Bosse“ zuständig, die es an jeden der zentralen Handlungsorte geben soll. Zusätzlich darf dieser auch mit Ausgabe von Gummipunkten – hier *Machtpunkte genannt – in das Narrativ eingreifen. Dies geht hier aber nur mit dem Starten von Kämpfen.
Das Würfelsystem ist recht simpel: Die*der aktive Spieler*in würfelt generell mit einem W6, bei einer 5 oder 6 ist es ein voller Erfolg da, bei einer 3 oder 4 ein Teilerfolg und bei einer 1 oder 2 ein Misserfolg. Bei den letzten beiden Optionen obliegt es dem Dämon, zwei Vorschläge zu machen, wie die Situation ausgehen wird, von denen dann die*der aktive Spieler*in sich eine aussuchen darf. Dabei sind Misserfolge unangenehmer als Teilerfolge und können auch Wunden verursachen.
Pro Runde (also genauer: pro Wechsel-Versuch durch die Spielkarten) soll die*der aktive Spieler*in zwei solcher Proben erleben, danach inszeniert der Dämon dann einen möglichst spannenden Cliffhanger. Welche*r der beiden Spieler*innen diesen Cliffhanger später als aktive*r überwinden oder überleben muss, wird dann durch das oben beschriebene Kartenziehen ausgelost. Dabei können in einer Runde aber auch weitere Konflikte passieren, die nicht auf dieses Kontingent angerechnet werden.
Unser Playtest
Gemeinsam mit Frau Blau habe ich den Spieltest online organisiert, dabei nutzten wir als Spielplattform Playingcards.io4, da diese mir für all die Marker, Karten und Würfel den besten Kompromiss zu bieten schien – und sie Frau Blau bereits sehr gut vertraut war. Der Autor geht in seinem Kapitel Digitale Möglichkeiten auch auf das Onlinespiel ein, und schlägt Roll20 oder Virtual Tabletop Simulator vor, bevorzugt selbst jedoch offenbar einfach ein Spiel über Discord mit geteiltem Bildschirm.
Dabei verwendeten wir eines der Beispielsettings aus dem Buch und verzichteten darauf, ein solches am Anfang selbst zusammenzustellen, um dem intendierten Spiel möglichst nahe zu kommen (und nach all den Erläuterungen noch genügend Zeit für das Spiel zu haben). Generell ist das System durchaus Setting-agnostisch, man kann es also neben in einem mittelalterlichen Fantasysetting auch an Bord eine Raumschiffes oder in anderen Kontexten spielen.
Ein Flussdiagramm für den Regelablauf
Indie-Pen-&-Paper-Rollenspiele sollen Regeln gerne mal auf andere Arten und Weisen einsetzen, als man es gewöhnt ist. Dadurch erreichen sie oft ein sehr spezielles Spielgefühl, das man mit herkömmlichen Regeln sehr viel schwieriger erreicht – aber das Ziel ist halt auch mit diesen besonderen Regeln die Geschichte voranzutreiben.
Im Kern von Zweikopfdämon steckt, wie oben bereits näher beschrieben, ein simples Würfelsystem mit drei verschiedenen Stufen: Misserfolg, Teilerfolg und voller Erfolg. Das ist nichts Neues und Grundlage von nahezu allen PbtA-inspirierten Systemen heute. Soweit so gut. Diese Grundlage reicht aber dem Autoren nicht und er erweitert die Runden um eine Vielzahl weiterer Mikromanagement-Schritte. So dürfen am Anfang jeder Runde beide Spieler*innen sich eventuell einen Machtpunkt erwürfeln. Alternativ bekommt man vielleicht auch einen kleinen Fortschritt auf einer Leiste, auf denen man Misserfolge markiert und alle paar Schritte (im Verlauf des Spiels eskalierend) auch dort etwas bekommt: Auch einen Machtpunkt. Oder man bekommt einfach gar keinen weiteren Machtpunkt.
Aber auch dann ist die Runde noch nicht so ganz gestartet, denn nun darf man würfeln, ob man diese Runde ein oder zwei Einsätze von einem von vier Attributen bekommt, von denen man am Anfang sich eines für seinen Charakter auswählen konnte. Hierfür gilt abermals eine andere Auslegung der drei Erfolgsstufen und diese Einsätze gelten nur für diese Runde, man sollte also möglichst sich Proben suchen, in denen man dieses Attribut einsetzen kann. Wenn man es denn kann, und man einen Einsatz sich erwürfelt hat, bekommt man einen zusätzlichen Würfel für die Probe und darf das bessere Würfelergebnis auswählen.
Dann darf man weitererzählen und löst in der Regel den vorhin gesetzten Cliffhanger auf – evtl. durch einen Konflikt, für den abermals eine andere Auslegung der Erfolgsstufen gilt.
Verwirrt? Das Buch hat dem immerhin vorgebaut und liefert tatsächlich ein Flussdiagramm mit, aus dem die Reihenfolge der Aktionen sichtbar wird und das freundlicherweise auch auf einen erweiterten Spickzettel als PDF dabei ist.
Viel zu Würfeln für wenig mehr
Leider wird man aber den Eindruck nicht los, dass hier zwar ein simples Indie-Grundsystem existiert, an dem aber viele weitere Einfälle angeflanscht wurden. Drei Würfelwürfe zu Anfang jeder Runde, die im Kern nix anderes machen als zusätzliche „Erlaubnisse“ für Handlungen oder zusätzliche Würfel eventuell zu verteilen, erschienen im Test dann doch mehr zeitfressend als wirklich spannend, gerade weil man doch eigentlich den just gesetzten interessanten Cliffhanger auflösen wollte.
Es wäre vermutlich auch sehr einfach, diese ersatzlos wegfallen zu lassen, ohne dass das System daran kranken würde. Warum nicht einfach immer einen weiteren Würfel dazu nehmen können, wenn man eine Aktion macht, die zu dem passenden Attribut passt? Die Einschränkung des Einsatzes bringt nur sehr begrenzt eine strategische Veränderung mit sich.
Dazu kommt, dass die Abhängigkeit der Machtpunkte vom Würfelglück (oder Würfelpech) diese sehr in ihrem Einsatz einschränkt. In unserem Playtest hatten wir tatsächlich fast keine Machtpunkte durch Würfel dazubekommen, entsprechend waren wir geizig bei ihrem Einsatz. Und auch die Machtpunkte, die man über die Misserfolgleiste alle paar Misserfolge dazubekommt, war bei uns letztlich kaum eskaliert – wir haben im „normalen“ Spielverlauf über sechs Runden nicht einen Machtpunkt über die Leiste erhalten und uns tatsächlich gerade einmal einen einzigen erwürfelt. Wäre es nicht einfacher, diese Leiste rauszulassen und stattdessen einfach jeweils einen weiteren Machtpunkt zu vergeben, wenn man einen Misserfolg würfelt statt diese durch die Leiste künstlich zu verknappen?
Letztlich sind Machtpunkte durchaus ein hilfreiches Mittel, aber die Einsatzmöglichkeiten erschienen in unserem Playtest als teuer – was natürlich auch an unserem „Würfelglück“ liegen mag. Auch hier wäre es aber ohne weiteres möglich, diese entweder durch einen fixen Vorrat festzulegen oder im Verlauf des Spiels jede Runde einfach jeder einen dazuzunehmen.
Das PDF
Das entgültige PDF lag für den Test noch nicht vor, allerdings versicherte mir der Autor, dass nur noch leichte Tippfehler-Korrekturen ausstehen würden und alle Bilder vorhanden wären – wohl aber noch leichte Designänderungen stattfinden könnten. Der Autor hat das System selbst layouted und verwendet dazu vorrangig Windows-Standardschriften wie Verdana und in seinem zweispaltigen Satz leider kein Grundlinienraster, wodruch der zweispaltige Satz etwas unruhig wirkt. Wenige Typografiefehler fallen hingegen wohl nur Profis auf und der für viele Rollenspielwerke typische Pergamenteffekt im Hintergrund ist teilweise etwas problematisch in den Kontrasten zum Schriftblock – druckerfreundlich ist das PDF entsprechend auch nicht. Fairerweise aber noch einmal der Hinweis, dass hier noch Korrekturen stattfinden können. Die Illustrationen sind sauber ausgeschnitten und ins Satzbild eingefügt, einzelne Abschnitte sind abwechslungsreich aber konsequent mit leicht im Hintergrund variierenden Trennseiten gegliedert, auch wenn es für den Druck etwas Schade ist, dass diese nicht einheitlich auf ungeraden Seiten liegen. Es fehlt ein Index, was man bei einem kleineren Werk wie diesem noch etwas eher verschmerzen kann, dafür hat das PDF sinnvoll hierachisch sortierte Lesezeichen, allerdings keine Abschnittsverlinkungen im Fließtext.
Der Charakterbogen – hier „Weltenblatt“ – irritiert etwas durch seinen Zählerbereich, bei dem man erraten muss, welche der Leisten nun was zählen soll (die Auflösung von oben nach unten: Machtpunkte, Fehlschlagleiste, Wunden, was man durch die Symbolik mit dem Text vergleichen kann).
Fazit
Der Ansatz, ein Pen-&-Paper-Rollenspiel für genau zwei Personen zu schreiben, die sich unregel- aber gleichmäßig abwechseln, ist anscheinend tatsächlich noch ein recht unbeschrittener Weg 5. Den zufälligen Wechsel an einer Cliffhanger-Stelle festzulegen ist eine angenehm kreative Idee und gibt eine spaßige Würze in das Spiel. Einige Mechaniken erschienen aber in unserem Playtest als drangeflanscht und boten zu wenig Mehrwert.
- Stefan Graf hat die deutsche Version von Everybody is John übersetzt. ↩
- Der Autor benutzt konsequent in seinem Werk das Gendersternchen, was ich hier daher auch mache. ↩
- Wobei es auch hier eine weitere Regel gibt, mit der sich durch einen Würfelwurf eventuell die*der andere Spieler*in in die aktive Rolle bringen kann, wenn sie*er es möchte, wodurch die Aufteilung der Rollen ungleichmäßig werden kann. ↩
- Unser Setup zum Download für Playingcards.io. ↩
- Mir ist auch nach längerer Überlegung bisher kein Regelwerk eingefallen, dass einen solchen Kniff realisiert. ↩