Spielbericht: The Dresden Files RPG

Gut, es ist eigentlich gar kein Spielbericht, sondern ein Bericht von der Erschaffung und Ausstattung einer Stadt mit gegnerischen Fraktionen, sowie der Charaktere in dieser. Das ganze gibt es auch wieder zum Nachhören in einer mehrteiligen Ausgabe des Ausgespielt-Podcast (Teil Drei folgt die Tage).

Nachdem wir bereits begeistert Diaspora gespielt hatten und auch dort eine sehr interessante Systemerschaffung im Vorfeld durchspielt hatten, war es nun das neue und sehr viel größere FATE-System, das uns interessierte.

Der Hintergrund

„The Dresden Files“ (etwa: „Die Dresden-Akten“, offiziell übersetzt als „Die dunklen Fälle des Harry Dresden“) ist eine Romanreihe vom US-amerikanischen Autoren Jim Butcher, in denen der Protagonist, Harry Dresden, ein Detektiv mit magischen Fähigkeiten ist, der in einer mystischen Schattenwelt ermittelt, die unsere immer wieder berührt. Neben Magiern gibt es mehrere Arten Vampire, Werwölfe, Feen und alles andere Mystikzeugs in einem kompakten Setting, das größtenteils in Chicago spielt, aber die ganze Welt umfasst. Bisher gibt es zwölf Romane, der nächste wird im kommenden Frühjahr erwartet. Im Jahr 2007 lief auf dem US-TV-Sender SyFy (damals SciFi) eine gleichnamige zwölfteilige TV-Serie, die auf der Romanreihe basiert aber in einzelnen Aspekten deutlich abweicht, der aber kein Erfolg gegönnt war und daher nicht für eine zweite Staffel verlängert wurde. Das Rollenspiel kam im Sommer 2010 heraus und benutzt die FATE-Regeln in der aufgebohrten Version 3.0.

Wir bauen eine Stadt

Wie schon bei Diaspora obliegt es nicht dem Spielleiter allein, das Setting zu bestimmen. Stattdessen gibt es einen gemeinsamen Erschaffungsprozess um eine reale Stadt soweit zu modifizieren, dass sie einen interessanten Schauplatz für solch mythische Kreaturen bieten.

Wir einigten uns im Vorfeld darauf, dass wir als Stadt das für uns nächstliegendste wählen würden: Hamburg. Im Vorfeld sammelten wir bereits gemeinsam Mythen und Legenden sowie interessante Schauplätze.

Im Laufe des Prozesses sind drei Bögen für die Stadt auszufüllen: „Endstufe“ („High Level“), „Orte“ („Locations“) und „Gesichter“ („Faces“). Dabei sind wir teilweise recht wild hin- und hergesprungen, das scheint aber in dem Prozess durchaus normal zu sein. Dennoch will ich das ganze einmal ordnen:

Stadt: Endstufe

Es gibt drei „Motive“ („Themes“) oder „Bedrohungen“ („Threats“), die für die gesamte Stadt festgesetzt werden. Die Spieler diskutieren gemeinsam, wie diese benannt werden und in welche Kategorie sie gehören. Motive sind dabei allgemeinerer Natur und vor allem nicht an Einzelpersonen gebunden. Bedrohungen sind konkreter und können tatsächlich durch das Ausschalten einiger zentraler Figuren beseitigt werden.

Unser erstes Motiv wurde „Tanz auf dem Vulkan“. Dies sollte vor allem ein delikates Gleichgewicht aufzeigen, dass sich überall in der Stadt niederschlägt. Unbewusst für die Bewohner Hamburgs gibt es unterhalb ihrer Stadt ein altes Siegel, dass etwas Altes bannt, zurückhält oder auch einsperrt. Dies brachte der alten Hanse und den Freimaurern vor allem Macht. Reichtum. Und noch heute zapfen viele Stellen in der Stadt diese alte Energie an. Doch das Siegel muss ständig erneuert werden, und gerade die Verbindungen über und unter der Elbe hindurch sind dazu weit wichtiger, als den tausenden bewusst ist, die jeden Tag am Elbtunnel oder an der Köhlbrandbrücke im Stau stehen. Daneben gibt es zwei rivalisierende Vampirgruppen in der Stadt, die Voigts und die Lacrimas. Die einen ernähren sich von Lust, die anderen von Leid. Die Lacrimas haben sich zunächst mit der Seemannsmission zufrieden gegeben, vor ein paar Jahren haben sie aber die Herbertstraße übernommen und sind damit dem Reich der Voigts, dem Rotlichmilieu auf der Reeperbahn, arg auf die Pelle gerückt.

Das zweite Motiv ist die „Tide: das Wasser kommt und geht“. Hamburg ist zwar eine Binnenstadt, aber durch die Elbe und die Alster, sowie die Anbindung an die Nordsee gab es in der Stadt immer wieder große Fluten. Den Bürgern ist aber der wahre Hintergrund nicht bekannt: sie führen insgeheim seit Jahrhunderten einen geheimen Kampf gegen eine Welt unter Wasser, bevölkert von Nixen. Diese Meerjungfrauen wollen die Gestade für sich. Doch mit den Jahren haben die Menschen gelernt, immer bessere Deiche zu bauen, nur alle paar Monate dürfen sie noch den Bereich des Fischmarkts für sich beanspruchen und dort einen Trollmarkt abhalten. Und im Schanzenviertel, dem Szeneviertel Hamburgs, tobt sich regelmäßig ein anarchischer alter Wikinger-Zorngeist aus und lässt die Menschen aufeinander losgehen.

Als drittes haben wir eine Bedrohung: „Neue Spieler stören das Gleichgewicht“. Hier zu nennen sind zum einen eine Gruppe von Burschenschaftler, welche mehr von dieser Macht haben wollen, die die alten Freimaurer nur viel zu zögerlich herausgeben – wobei ihnen unklar ist, dass sie damit vielleicht „den Vulkan“ zum Ausbruch bringen könnten. Eine junge Lacrima will nun auch das Dollhouse für ihre Familie erobern und gefährdet damit den Waffenstillstand mit den Voigts. Und ein größenwahnsinniger Schwarzmagier hat sich in dem stillgelegten Fernsehfunkturm, dem Telemichel, verzogen und hat irgendetwas mit dem gestohlenen Schädel des legendären Piraten Störtebecker vor.

Jedes der drei bekommt neben einem Aspekt auch noch eine Handvoll Gesichter dazu.

Ebenfalls notieren wir zwei Status Quo: zum einen den des Übernatürlichen, zum anderen den weltlichen (Pfeffersäcke haben das Sagen, Handel, Medienstadt, Tourismus).

Letztlich tragen wir auf einer Matrix die treibenden Kräfte der Stadt ein („Movers and Shakers“). Neben den schon erwähnten kommt hier noch die Davidwache hinzu, die mitten auf der Reeperbahn zwischen vielen Fronten steht, das „Referat Tideelbe und Meeresschutz“ (eine öffentliche Einrichtung die von den Bedrohungen der Stadt weiß, aber sich in interner Bürokratie verzehrt) sowie eine kirchliche Bruderschaft, die wir an der St.-Michaelis-Kirche (Michel) angesiedelt haben.

Stadt: Orte

Auf diesem Bogen steht jeweils eine Neuntel-Seite für eine kurze Ortbeschreibung zur Verfügung. Auch hier entscheidet man sich, ob es ein Motiv oder eine Bedrohung ist, beschreibt kurz die Idee, vergibt einen Aspekt und siedelt ein Gesicht an.

Neben den bereits oben schon erwähnten Orten kamen hier noch ein Dönerladen im Stadtteil Wilhelmsburg hinzu (an dem mein Charakter angesiedelt ist), der Friedhof Ohlstorf (man kann immer einen Friedhof brauchen), der Alte Elbtunnel (eine gute Möglichkeit in den Untergrund abzusteigen), Hagenbecks Tierpark (hier wurde Rolands Charakter mit leicht verbunden), Planten un Bloomen (auch Pflanzen sind interessant) sowie sämtliche Budnikowski-Filialen (eine in Hamburg überall verbreitete Drogeriekette, die in wirklichkeit nur aus einer Filiale besteht, die aber viele Eingänge hat und in der Frau Mayer Special Interest-Objekte verkauft).

Stadt: Gesichter

Hier bekommen alle Gesichter der Orte, Motive und Bedrohungen jeweils ein Endkonzept eine Motivation  und Beziehungen verpasst. Wir brauchten insgesamt drei Bögen, um alle Gesichter unterbringen zu können. Die genauen NSC-Beschreibungen inkl. der Bögen liefern wir nach, sobald auch die Podcasts dazu online stehen.

Fazit zur Stadterschaffung

Die Enttäuschung für mich: im Gegensatz zu Diaspora ist dieser Prozess fast gar nicht mit Regeln durchwoben, die einen unterstützen. Bei Diaspora würfelt jeder zunächst drei Attribute für einen Schauplatz aus und ist im Verlauf des weiteren Prozesses für seine Aspekte verantwortlich. Bei den Dresden Files ist dieser Prozess weit offener – vielleicht sogar zu offen. Ich hätte mir tatsächlich gewünscht, dass auch hier jeder für einen Bereich des Settings im Erschaffungsprozess eine Art Patenschaft übernimmt.

Positiv sind aber die gut durchdachten Städtebögen herauszuheben. Der Prozess ist zwar durch ein ständiges Hin- und Herwechseln zwischen den Bögen durchzogen, aber man merkt schrittweise, wie immer deutlicher Konzepte heranwachsen, einzelne Fraktionen aufgebaut werden, die Machtpositionen besetzen und ein harmonisches Bild aufbauen. Und durch die (theoretische) Beteiligung aller Spieler hat jeder auch von Anfang an ein gutes Gefühl für das Setting.

Die Charaktere

Die Charaktererschaffung funktioniert ähnlich verzahnt, wie bei Diaspora, nur gibt es aufgrund der vielen Optionen der Charakterkonzepte (Magier, Werwölfe, Vampire Feengestalten, u.s.w.) weit mehr Möglichkeiten.

Jeder Charakter hat eine „Vorlage“ („Template“), aus der sich ggf. eine Anzahl an Notwendigkeiten („Musts“) ergibt, die dieser Charakter später nehmen muss. Zwei Aspekte, ein meist positiver für das „Endkonzept“ („High Concept“), und ein meist negativer für den „Ärger“ („Trouble“) werden gleich relativ frei gewählt.

Dazu kommen fünf Entwicklungsphasen, die jeweils eine kleine Geschichte beinhalten sollten. In der ersten Phase geht es um die Charakterherkunft. In der zweiten um die Konflikte, die ihn geprägt haben. Dann folgt die Geschichte des sogenannten „ersten Abenteuer“, bei dem zwei andere Spieler als Gaststars mitspielen. Umgekehrt ist man in Phase Vier und Fünf Gaststar in jeweils dem „ersten Abenteuer“ eines anderen Spielers. Aus jeder dieser Geschichten entwickelt man dann jeweils einen weiteren Aspekt.

Nach diesem Ineinanderverschränken folgen die Fertigkeiten (hier gibt es keine wirkliche Überraschung für die Spieler von Diaspora oder anderen FATE-Systemen) sowie die Stress-Pegel (Physisch, Mental und Sozial). Stunts und Kräfte werden von einem festgelegten Konto eingekauft, der übrig gebliebene Rest dieses Kontos bildet die FATE-Punkte, die man generell erneuern kann.

Deniz

Mein Charakter, Deniztekin Akil, ist Sohn eines türkischen Gastarbeiters, der damals bei Bloom & Voss arbeitete. Sein Vater hatte offenbar eine Affäre mit einer der bezaubernden Meerjungfrauen aus der Elbe. Als diese zu ihrem Schrecken merkte, dass aus dieser ein Sohn gezeugt wurde (Nixen bekommen nur weiblichen Nachwuchs) hätte sie diesen eigentlich umbringen sollen. Stattdessen setzte sie ihn bei seinem Vater aus.

Deniz wuchs ohne das Wissen über seiner Mutter ganz normal auf, ohne zu wissen, dass er ein „Meerjung-Mann“ (Endkonzept-Aspekt) ist – oder wie halt ein Deutsch-Türke halt so aufwächst. Kurz: er fühlte sich „keiner Welt so richtig zugehörig“ (Ärger-Aspekt). Mittlerweile hatte sein „Baba einen türkischen Dönerladen in Wilhelsmburg“ (Phase 1-Aspekt) und Deniz war auf seinem Kiez beliebt. Durch sein gutes Aussehen redete er sich aus allen Problemen heraus und „wickelte jeden um den Finger“ (Phase 2-Aspekt).

Bis er als gerade Erwachsener am Elbstrand einen anderen eine wilde Schönheit ausspannte und mit ihr im Wasser herum machen wollte. Doch diese entpuppte sich als Nixe und wollte Deniz, wie so viele Männer zuvor, ertränken. Nur – es klappte nicht. Deniz konnte in der „Welt unter Wasser“ (Phase 3-Aspekt) atmen und problemlos agieren. Nachdem die Nixe von ihm abgelassen hatte, taumelte er an den Strand zurück – nur um von den Typen angegriffen zu werden, dem er eben die Nixe ausgespannt hatte. Es gelingt ihm, dies kampflos zu überstehen und aus beiden werden unvermittelt Freunde (anderer SC).

Als Gaststar soll Deniz einen Freund aus der Davidwache abholen, er hat halt „viel zu viele Freunde“ (Phase 4-Aspekt). Dort wird er in ein anderes Abenteuer verwickelt rund um einen Römer und Zombies auf dem Ohlstorfer Friedhof.

Letztlich wird er noch Zeuge eines Überfalls auf einen Uni-Professor mit seltsamen Typen in seltsamen Masken, die irgendwas seltsames wollen. Es gibt Magie. „Bin ich hier im Film, oder was?“ (Phase 5-Aspekt).

Deniz lernt, dass er in Wirklichkeit ein Wechselbalg ist, ein Kind einer aquatischen Fee, kann daher nicht ertrinken und ignoriert alle Mali beim Schwimmen unter Wasser (-1 Kraft). Er regeneriert mittlerweile schneller als normale Menschen (-1 Kraft, gilt nicht bei Kaltem Eisen, aber davon weiß Deniz noch nix), ist übermenschlich stark (-2 Kraft) und kann kleine Glanz („Glamour“)-Zauber wirken um etwas oder eine kleine Gruppe zu verbergen oder als etwas anderes erscheinen zu lassen (-2 Kraft). (Von den 8 Grund-FATE-Punkten, bleiben ihm durch die Kräfte nur noch 2 bei jeder Erneuerung).

Deniz ist ein guter Nahkämpfer, der sich aber lieber herausredet um den Ärger mit Bullen und anderen zu entgehen. Er nimmt aber vieles nicht ernst genug und ist auch nicht der aller hellste. Auch fühlt er sich, von seinem Vater einmal abgesehen, nirgendwo so richtig heimisch.

Fazit zur Charaktererschaffung

Die Charaktererschaffung ist für Diaspora-Veteranen problemlos nachvollziehbar und durch die Verzahnung der Phasen Drei bis Fünf spart man sich eine Gruppenzusammenführung. Die Aspekte, die das FATE-System auszeichnen, spielen auch hier eine zentrale Rolle, durch die Reduzierung der FATE-Punkte-Erneuerung durch Kräfte und Stunts bleibt rein theoretisch ein sehr schönes Balancing über (genaueres muss für mich das Spiel erst beweisen). Ich tat mich allerdings schwer daran, wieviele FATE-Punkte ich noch in der Erneuerung belassen wollte – aber das ist wohl auch normal.

Bisheriger Eindruck

Ausgesprochen gut. Mich hat aufgrund der Vorbereitung das Dresden Files-Fieber gepackt, ich lese mittlerweile an den Romanen und bin auf unseren ersten Spieltermin äußerst gespannt. Einzige Einschränkung: der ganze Erschaffungsprozess von Stadt und Charakteren schluckt viel Zeit. Einen regulären Spieltermin sollte man dafür wohl mindestens einplanen.

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Ron Müller

Rollenspieler auf der Suche nach neuen staffelübergreifenden Handlungssträngen.
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