Kevin ist der erstgeborene Sohn von Eva (Tilda Swinton) und Franklin (John C. Reilly). Schon gleich nach seiner Geburt fremdelt er. Er entwickelt, trotz aller Mühen der Mutter, einfach keine normale Bindung zu dieser. Er hört als Baby nie zu schreien auf – als Kleinkind braucht hingegen es lange, bis er anfängt, zu reden und trägt sehr viel länger als eigentlich nötig eine Windel. Jahre später sieht man die Mutter, wie diese in ein viel kleineres Haus gezogen ist und um ihr finanzielles Überleben kämpfen muss. Eine Frau auf der Straße ohrfeigt sie aus plötzlichen Himmel und wünscht sie zur Hölle. Irgendetwas muss passiert sein. Irgendetwas schlimmes.
Lynne Ramsays Film zu folgen, ist eine ziemliche Herausforderung. Er springt wild zwischen unterschiedlichsten Zeit-Ebenen hin- und her, so dass ein Moment der Unkonzentriertheit ausreicht, dass man den Faden verliert. Aber das ist auch kein Film zu nebenbei gucken – das steht sicherlich fest.
Die Regisseurin schafft es aber gerade auf diese Weise, den Plot wie ein Puzzle zusammenzubauen. Eigentlich ist das ein erzählerischer Kniff, der auf ein uninspiriertes Drehbuch hindeutet, so kaschiert man leicht dramaturgische Mängel. Hier funktioniert er aber. Und vor allem durch die fabelhaften schauspielerischen Leistungen von John C. Reilly, den drei (in unterschiedlichen Alterstufen) Darstellern von Kevin und vor allem Tilda Swinton als verzweifelte Mutter – für diese Leistung hätte sie einen (weiteren) Oscar verdient.
Warum läuft dieser Film nur auf Festivals? Er hätte ein viel breiteres Publikum verdient und lässt locker viele andere Arthouse-Stoffe hinter sich. Letztlich ist dieser Film der ultimative Albtraum aller Eltern. Und gerade deshalb sollte man ihn sich ansehen.
„We Need to Talk About Kevin“ (USA/UK 2011) Regie: Lynne Ramsay Darsteller: Tilda Swinton, John C. Reilly, Rock Duer, Jasper Newell, Ezra Miller Vergleichbar mit „Orphan“? Nein. „Orphan“ ist ein Horror-Film mit einem seltsam kranken, sicher interessanten Twist. Dies ist ein Thriller oder Drama, kein „Horror“. Beide Filme verbinden die „schrecklichen“ Kinder. Aber „Kevin“ ist ein weit realerer Albtraum, der so überall passieren kann. Und er hat eine einfach großartige Tilda Swinton.★★★★☆