Meisterdetektiv Hercules Poirot (Kenneth Brannagh) erlebt gerade so etwas wie ein kreatives Burn-out, als er in Istanbul eine Fahrt auf dem Orient-Express in Richtung Paris antritt. In den ausgebuchten Quartieren der ersten Klasse findet er nur durch schieres Glück – und ein wenig Nachhilfe seines Freundes Bouc (Tom Bateman) – noch einen Platz zwischen mehreren illustren Gestalten.
Eines Nachts auf der Fahrt entgleist der Zug durch eine Lawine und nur kurze Zeit später stellen die auf der Strecke gefangenen Passagiere fest, dass einer der Reisegefährten offenbar ermordet wurde. Widerstrebend übernimmt Poirot den Fall und entfaltet Stück für Stück eine sehr viel komplexere Geschichte, als sie zuerst noch den Anschein hat …
Viele Zutaten
Man nehme eine hochkarätige Besetzung (Daisy Ridley, Leslie Odom Jr., Manuel Garcia-Rulfo, Penélope Cruz, Josh Gad, Johnny Depp, Derek Jacobi, Sergei Polunin, Lucy Boynton, Marwan Kenzari, Michelle Pfeiffer, Judi Dench, Olivia Colman, Willem Dafoe, …), einen beliebten Roman-Stoff, eine atemberaubend schöne Kulisse und lässt das ganze von einen britischen Drama-Experten inszenieren, der auch gleich für die Hauptrolle eine Schnurbart-Schlafschutz-Maske nachts aufsetzen darf.
Die Zutaten sind also schon mal stimmig, doch schmecken sie auch zusammen? Nun muss man erstmal einräumen, dass der Roman von Agatha Christie mittlerweile 83 Jahre alt ist und das Alter merkt man an vielen Stellen durchschimmern. Die vielen Zufälle, die in der Geschichte zusammenkommen, sind arg konstruiert. Aber das war bereits beim Erscheinen von Christies Werk ein großer Kritikpunkt gewesen.
Desweiteren bringt eine solch illustre Riege an Darstellerinnen und Darsteller natürlich das Problem mit sich, dass nicht alle gleichermaßen zum Gesamten beisteuern können. Aber, um es gleich zu sagen: Es ist einer der wenigen Filme der letzten Jahre, in den Johnny Depp nicht mit seiner Exzentrik nervt. Jedenfalls nicht all zu sehr, sticht seine Rolle doch auch nicht wirklich heraus, obwohl er im Vergleich zu den anderen großen Namen deutlich mehr Screentime bekommt.
Denn das ist vielleicht das größte Problem des Films: Er muss sich durch all die Befragungen der vielen Charaktere einzeln durchackern und verbringt entsprechend wenig Zeit mit jedem Einzelnen. Da der Drehbuch-Autor bereits viele Anpassungen gemacht hat – vor allen in den Nationalitäten um die vielfältige Besetzung auch ethnisch unterbringen zu können –, stellt sich dann doch die Frage, ob nicht die Reduktion um ein paar der Charaktere und dafür mehr Raum für einzelne der Story nicht besser getan hätte. Aber sicher, dann hätten wieder die Roman-Puristen Zeter und Mordio geschrieen.
Diese Kulisse
Dafür überzeugt der Film aber mit vielen Ausstattungsdetails und seiner atemberaubenden Kinematografie, ein gewaltiges Plus gegenüber der ersten Kinoverfilmung von 1975. Man hat jederzeit das Gefühl, dass man sich wirklich in einem Zug der 20er Jahre befindet, kann die malerische Kulisse des verschneiten Jugoslawiens genießen oder am Beginn des Films noch das flirrend-heiße Jerusalem. Dort ist es auch, als der Charakter von Poirot mit all seinen detailversessenen Marotten bei Frühstückseiern und Pferdeäpfeln äußerst gelungen eingeführt wird, eine Zeit, die sich 1975 gar nicht erst genommen wurde. Kenneth Brannaghs Poirot ist auch tatsächlich dadurch facettenreicher und es steckt weit mehr hinter dem imposanten Schnauzer, als man zunächst denken mag..
Brannagh hat bereits angekündigt, dass, sollte der Film ein Kassenerfolg werden, er für weitere Poirot-Filme gerne zur Verfügung stehen würde. Und am Ende des Films gibt es auch bereits eine Anspielung auf „Tod auf dem Nil“. Dieser Stoff verspricht deutlich weniger Nebencharaktere und wenn er eine ebenso oppulente Ausstattung wie „Mord im Orient-Express“ bekommt, freue ich mich doch bereits auf eine solche Fortsetzung.
[wertung img="https://edieh.de/wp-content/2017/11/mordimorientexpress_poster_campb_sundl_a4.jpg" stars="4"]„Mord im Orient-Express“ („Murder on the Orient Express“, USA 2017)
Regie: Kenneth Brannagh
Drehbuch: Michael Green, basierend auf dem Buch von Agatha Christie
Darsteller: Kenneth Brannagh, Tom Bateman, Daisy Ridley, Penélope Cruz, Josh Gad, Johnny Depp, Derek Jacobi, Michelle Pfeiffer, Judi Dench, Olivia Colman, Willem Dafoe, u.v.a.[/wertung]
„Mord im Orient-Express“ läuft ab dem 9. November 2017 in unseren Lichtspielhäusern, in einigen sogar in der sehenswerten 70-mm-Version.