Zuvor bei „The Gifted“
Der Mutantenhass in der Gesellschaft nimmt immer zu und die strahlenden Helden der X-Men sind in dieser Welt verschwunden und teilweise bereits nur Legende. Stattdessen werden Mutanten aufgegriffen und in Konzentrationslager geworfen. Die heile Familienwelt von Reed (Stephen Moyer) und Kate Strucker (Amy Acker) wird ebenfalls aus den Fugen geworfen, als deren Kinder Lauren (Natalie Alyn Lind) und Andy (Percy Hynes White) sich als Mutanten entpuppen. Die Familie flieht und schließt sich dem Mutantenuntergrund an, wo sie sich mit Eclipse (Sean Teale), Thunderbird (Blair Redford), Polaris (Emma Dumont) und Blink (Jamie Chung) zusammenschließen.
Während auf der einen Seite die Mutantenjäger nicht so leicht aufgeben wollen, entdecken sie auf der anderen den Hellfire Club, die schon länger intregieren um ihre Belange durchzusetzen. Am Ende spaltet sich ein Teil von der ersten Gruppe ab, darunter auch Andy, sehr zum Entsetzen seiner Familie, und schließt sich dem Inner Circle des Clubs an …
X-Men ohne zentrale X-Men
Es ist schon erstaunlich, wie eine Serie, die im X-Men-Universum spielt, sich nur mit wenigen kleinen Anspielungen auf eben jenes zufriedengeben kann, sich nur auf Nebencharaktere mit weniger spektakulären Kräften konzentrieren und allgemein deutlich kleinere Geschichten erzählen kann ohne dabei an Drive zu verlieren. „The Gifted“ kann aus einem riesigen Fundus an Figuren schöpfen – doch lediglich Teleporterin Blink hatte davon bereits einen Nebenauftritt in den X-Men-Filmen, andere Figuren, wie Thunderbird kommen zumindest in den Comics vor.
Damit umschifft die Serie Probleme, die sich bei „Marvel’s Agents of S.H.I.E.L.D.“ leider oft zeigen: Während zunächst Serie und Filmreihe eng verzahnt waren und Auswirkungen aus den Filmen sich auch direkt in der Serie zeigten, wurde dieses Prinzip später aufgeweicht und zuletzt rückte die Serie stark an den Rand des Filmuniversums. Zu schwierig wurde anscheinend die Koordination zwischen Filmstudio und Serienmachern.
Ohne Rücksichtnahme auf das X-Men-Filmuniversum nehmen zu müssen, das ohnehin zuletzt inkoherent und unlogisch wurde, kann die Serie sich allein auf ihre Protagonisten konzentrieren.
Fokus auf die Familie
Dabei geht sie es konzeptionell auch zunächst genau richtig an: Sie nimmt eine Familie als Herzstück und beladet diese von Anfang an mit ordentlich emotionalen Gepäck. Dann wird diese in eine unmögliche Situation geworfen, ohne jeden Halt und muss sich konstant neu orientieren. Und überleben.
Daneben werfen die Macher aber leider einfach nur ein paar leidlich interessante weitere Figuren ins Feld. Figuren, deren Plots lange unterentwickelt bleiben oder sich gar ins Nichts auflösen. Hier trifft leider nur wenig gleich ins Schwarze. Die erste Staffel zeigt so einige deutliche narrative Schwächen auf ihren Weg aus 13 Episoden, die teilweise der Geschwindigkeit, teilweise aber auch dem Rahmen geschuldet ist.
Versuchter Tempowechsel in Staffel 2
In der nun gestarteten zweiten Staffel (die auf 16 Episoden ausgedehnt wurde) nehmen sich die Erzähler entsprechend erstmal auch etwas mehr Zeit für ihre Story. Dabei konzentrieren sie sich auf die emotionale Belastung der Protagonisten. Das neue Thema ist die Spaltung der Mutantengruppe: Auf der einen Seite die fliehenden Mutanten, die eigentlich nur mit den Menschen zusammenleben wollen aber gejagt werden. Auf der anderen der Inner Circle des Hellfire Clubs, der die Mutanten als die neue Spitze der Evolution auch an die Spitze der Gesellschaft setzen will. Im Grunde also wieder klassisch die Aufspaltung, die schon die Film- und Comic-Mutter hatte: Die „guten“ X-Men auf der einen Seite, die Bruderschaft der Mutanten auf der anderen.
Dennoch bleibt es erstmal wieder an der Familie hängen: Andy muss für sich herausfinden, ob er nur aufgrund einer Teenager-typischen rebellischen Phase seine Familie verlassen hat oder wirklich eine neue Rolle für sich finden kann. Entsprechend wird er auch stark von der neuen Anführerin des Inner Circle des Hellfire Clubs, Reeva Payge (Grace Byers) getrieben, sich von seiner Familie emotional zu lösen. Überhaupt scheint Payge eine ganz eigene Agenda mit einiger Härte voranzutreiben, bei der sie ihre Mutanten trainiert, ihre Hemmungen fallen zu lassen.
Unterdessen muss Vater Reed versuchen, mit seinen jahrelang unterdrückten Kräften klar zu kommen. Lauren versucht vor allen ihren Bruder wieder einzufangen. Und letztlich bleibt all das an der Nicht-Mutantin und Gute-Seele Kate hängen. Also wieder nur alles Familie? Es wird zwar versucht, den Fokus auch auf die anderen Mutanten zu legen, aber bis auf die angestrengte Beziehung zwischen Polaris und Eclipse sind dies vor allen Rückblicke, die nur wenig die Charaktere erweitern.
Mehr vom Bewährten
Zwar wäre dies eine durchaus gute Basis für eine zweite Staffel, doch sie kommt zunächst erstmal (ich habe die ersten vier Episoden vorab gesehen) überraschend langsam in Bewegung. Stattdessen gibt es mehr vor dem bisher schon erprobten: Dort wird mal wieder eine Belagerungssituation aufgelöst, dort kloppen sich zwei Mutanten mit ihren coolen Kräften, dort gibt es ein Wortgefecht, dort einen grummeligen Stephen Moyer. Es dreht sich alles etwas arg im Kreis, das aber durchaus unterhaltsam.
„The Gifted“ brachte mit seiner ersten Staffel solide Quoten für das Fox Network in den USA ein. Derzeit sind die Quoten nach einem Sendeplatzwechsel von Montag auf Dienstag nicht mehr ganz so gut. Nach dem Disney nun Fox gekauft hat und damit Marvel auch die Rechte über das X-Men-Universum in Film und Fernsehen wieder unter einem Dach vereinigen kann, könnte dies aber auch für „The Gifted“ einige sehr interessante neue Ideen mit sich bringen. Eine Begegnung von S.H.I.E.L.D. mit der Mutanten-auf-der-Flucht-Truppe? Count me in!