Medien wandeln sich. Immer wieder. Sie erfinden sich neu, werfen alte Strukturen ab. Aber sie sterben nicht. Sie verändern sich. Passen sich an. Komplett Verschwinden? Nein.
Immer mal wieder totgesagt
Kulturhistorisch wurden Medien mit großer Regelmäßigkeit totgesagt. Dennoch haben wir heute immer noch Theater. Oder Bücher. Oder Radio.
Das Theater wurde weder durch das Kino und die Filmkunst, noch durch das Fernsehen, das Radio oder gar den Buchdruck kaputt gemacht. Kaum einer muss hierzulande länger als eine Stunde fahren um mindestens einen solchen Spielort erreichen zu können. Und die Vielfalt auf unseren Bühnen ist nach wie vor groß, dennoch gibt es Bereiche der Bühnenkunst, die heute von anderen Medien besser besetzt werden und ein Mensch aus dem Mittelalter würde sich wundern, was auf unseren Bühnen gespielt wird – oder wie gesittet wir im Zuschauerraum sitzen.
Auch um den Status des Buches als Kulturgut wird energisch immer wieder gekämpft. Und mit den Jahren hat sich der Begriff Bücherwurm stark positiviert. Weder Filme, noch Fersehen haben das Buch verdrängt. Auch mit dem Aufkommen der E-Book-Lesegeräte war das gedruckte Buch nicht von einem Moment auf den anderen tot. Im Gegenteil: Heute kann deutlich einfacher auch ohne ein Verlag ein Buch gedruckt und zu einem Bestseller werden. Klar, das muss nicht immer positiv sein. Aber tot ist das Buch noch lang nicht.
Das Radio war vor dem Fernsehen das erste wirkliche Massenmedium. Familien versammelten sich um das Gerät im Wohnzimmer und hörten sich gemeinsam Livehörspiele an. Später löste das Fernsehen diese Funktion ab – aber das Radio blieb bestehen, nur die Nutzungsart verschob sich. Heute begleitet es uns morgens mit Nachrichten und Informationen in den Tag und vor allen mit Musik. Auch Musikstreamingdienste haben das Radio nicht abgelöst. Und Podcasts haben bisher die Möglichkeiten stark vergrößert und bieten Radiomachern sogar mehr Freiheiten, als Format- oder Zeitbeschränkugen ihnen bisher erlaubten.
Funktion der Lichtspielhäuser im Wandel der Zeiten
Wie sieht es aber mit dem Kino aus? Nun, dort gab es bereits immer schon große Veränderungen und Umwälzungen. War es in der Nachkriegszeit noch ein Ort, an dem auch Nachrichten (Tönende Wochenschau) oder Kurzfilme als sogenannte Vorfilme vor dem Hauptfilm verbreitet wurden, hat sich das mit den Jahren stark gewandelt. Übrig geblieben vor dem Film ist in der Regel nur (regionale) Werbung und Trailer für andere Filme, und vor allen der Hauptfilm, für den man an der Kasse bezahlt.
Mit den 90ern kamen Multiplex-Kinos und bedrohten die kleinen Kinos. Einige starben tatsächlich. Viele fanden aber eine neue Berufung und positionierten sich im Arthouse-Bereich. Die Blockbuster den einen, die Perlen den anderen. Das Kino überlebte.
Das Heimkino kam erst mit Videokassetten, die am Anfang noch lächerlich teuer waren, später mit DVD und Blu-ray, dann mit Streamingdiensten. Mittlerweile kostet der Konsum eines Films zuhause teilweise im Centbereich, während man im Kino nur noch selten unter 10 € liegt. Dennoch: Das Kino überlebte.
Bisher jedenfalls.
Die Corona-Situation: Nur noch Wonder Woman hält die Stellung
Nun kam die Pandemie. Der Kinobetrieb wurde zuerst eingestellt und die Verleiher fuhren unterschiedliche Strategien mit ihren Tentpole-Filmen, also den hoffnungsvollen Big-Budget-Produktionen.
Universal, Sony und Disney experimentierten damit, ihre Filme online anzubieten. Paramount experimentierte sogar bereits vor der Pandemie damit, und brachte einige eigentlich fürs Kino produzierte Filme stattdessen auf Netflix, nachdem offenbar Marketingstrategen ansonsten einen Flop prophezeiten. Alle das lief offenbar recht ordentlich, dennoch rief dies natürlich die Kinobetreiber auf den Plan und Proteste wurden laut.
Lediglich Warner Bros. traute sich und brachte nach einigen Verschiebungen seinen Tentpole-Film Tenet ins Kino. Aber die große Zuschauer-Resonanz blieb weltweit aus, der Film wird vermutlich gerade noch in den Break-Even kommen. Andere Studios analysierten dies natürlich und hielten ihre Großproduktionen selbst zurück. Mittlerweile gibt auch Warner immer weiter auf und lediglich Wonder Woman 1984 hält noch alleine die Stellung dieses Jahr. Noch.
Die Konsequenz: Kinos schließen. Klar, finanziell ist das eine extreme Situation und nicht jeder hat genügend Rücklagen um diese Zeit überstehen zu können. Mit Cineworld hat in den UK und der USA gerade ein großer Multiplex-Anbieter seine Kinos überall dicht gemacht. Und das weren vermutlich nicht die einzigen Opfer sein.
Kino ist Erlebnis unter Gleichgesinnten
Aber ist es wahrscheinlich, dass die Kultur der Kinos damit zu Ende gehen wird? Oder ist es wahrscheinlicher, dass sie sich ändern wird, so wie sie es alle paar Jahrzehnte bereits getan hat? Warum schossen Autokinos derzeit wieder allerorten aus dem Boden, wenn nicht ein Bedarf für ein solches Gruppen-Erlebnis existieren würde?
Ja, Kino ist teurer, vielfach sind die anderen Besucher nervig und zuhause ist es bequemer. Aber: Einen Film in einem Kinosaal unter Gleichgesinnten zu sehen ist ein vielfach besseres Erlebnis. Man kann sich mehr auf die Darbietung konzentrieren, da (hoffentlich) weniger zusätzliche Reize oder Unterbrechungen auf einen einhämmern. Die Emotionen der anderen Mitbesucher stecken mindestens ein wenig auch einen selbst an. Unter Freunden oder Familie erlebt man das gleiche gemeinsam und kann nachher bei Bedarf noch ausführlich darüber philosophieren, diskutieren – oder lästern.
Selbst wenn in dieser Krise alle Kinos der Welt pleite gehen sollten, heißt es noch lange nicht, dass diese Kultur für alle Zeiten aussterben wird. Neue Kinos werden entstehen, wenn ein Bedarf da sein sollte. Und warum sollte dieser nicht mehr bestehen?
Kinos werden sich ändern. Haben sich schon immer geändert. Dass ein Film eine Zeitlang exklusiv nur im Kino gezeigt wird, ist zwar gerade (noch) Standard – aber dies muss nicht so bleiben. Es können und werden neue Modelle in der Auswertung von Filmen entstehen, die Exklusivität wird dabei vielleicht eingeschränkt werden oder gar fallen.
Schon heute veranstalten Kinos weit mehr als nur das aktuelle Verleihprogramm: Wiederaufführen von Klassikern, Sneak Previews, Festivals, selbst Übertragungen von Theaterstücken, Opernaufführungen oder Preisverleihungen sind bereits Teil unserer Kinokultur geworden. Während man die Tore einer WM problemlos alleine zuhause vor der Glotze erleben könnte, zieht es doch immer noch hunderte Menschen vor große Leinwände. Bei all dem spielt eine Exklusivität kaum noch eine Rolle. Es geht vielmehr um das soziale Event. Das gemeinsame Erlebnis, das sich durch das Gefühl in einer gleichgesinnten Gruppe zu befinden soviel verstärkt. Wir werden solch ein soziales Erlebnis nicht missen wollen.
Eine neue Hoffnung: Kino nach Corona
Das Zeitalter der Multiplex-Kinos hatte bereits anfang der 2000er seinen Zenit überschritten und viele Ketten von damals fusionierten oder wechselten den Betreiber. Mit den 3D-Trend kam es kurzzeitig zu einer Renaissance (und Anstieg der Ticketpreise), aber dieser ist auch schon seit einiger Zeit totgeritten. Kino war immer auch ein Technik-Trendantreiber, es wurden neue Konzepte erprobt, viele auch schnell wieder verworfen. Das Kino vor Ort hat die großartige Technik vor Ort, die für viele Heimkinos noch zu teuer scheinen. Wer hat schon eine IMAX-Leinwand zuhause? Oder dafür überhaupt den Platz?
Wenn man den Prophezeiungen von Star Trek glauben mag, ist das Holodeck das Kino der Zukunft, in dem man gemeinsam eine Geschichte erlebt und nicht nur konsumiert. Auch wenn wir technisch noch nicht soweit sind, bieten doch Computergames solche Rollenspiel-Aspekte schon heute an. Vielleicht wird das Kino der Zukunft entsprechend interaktiver?
Letztlich ist es das, was Kinos lebendig hielt und weiter halten wird: Die Neuerfindung.