Aus meiner Haut (Filmkritik)

In einem abgelegenen Resort auf einer Insel treffen Paare ein, um miteinander eine einzigartige Erfahrung zu teilen: Sie tauschen für eine begrenzte Zeit ihre Körper. Eines dieser Paare sind Leyla (Mala Emde, Meine Tochter Anne Frank) und Tristan (Jonas Dassler, Werk ohne Autor), ein vergleichsweise noch junges Paar bestehend aus einem introvertierten Musiker und seiner depressiven Frau, deren Probleme er aber nicht sehen oder gar nachvollziehen kann.

Der Tausch mit einem anderen, zufällig ausgelosten Paar – der sexuell-unerfüllten Fabienne (Maryam Zaree, I am not him) und dem extrovertierten Mo (Dimitrij Schaad, Die Känguru-Chroniken) – löst dann aber einiges aus: Leyla entdeckt eine ungeahnte neue Freude am Leben und Tristan wird in die Begierden des anderen Paares reingezogen.

AUS MEINER HAUT I Offizieller Trailer I Ab 2. Februar im Kino

Geschlechtergrenzen werden esoterisch verwischt

Sakrale Gesänge und Luftblasen, die im tiefen Wasser aufsteigen, ziehen bereits am Anfang in den Film hinein. Tatsächlich ist es die Musik, die hier eine besondere Rolle spielt – und im Laufe des Filmes mit streckenweise rückwärts abgespielten Musikelementen, aber auch klassischer Gitarre zu einer genauso neuen Erfahrung kombiniert wie die Erfahrung sich selbst in einem anderen Körper erstmalig zu bestaunen und zu entdecken.

Elemente aus esoterischen Praktiken, Riten, Bäder, immer wieder Wasser, aber auch die Frage nach Einvernehmlichkeit wird mit immer neuen Szenen vermengt. Dabei wird der eigentliche Tausch nicht wirklich gezeigt, das ist aber auch nicht wichtig. Stattdessen wird das Zu-Sich-Kommens, der Abschluss des Tauschs, als traumhafte Aufwachsequenz gezeigt, in der sich die Probanden erst langsam an ihre neuen Körper gewöhnen müssen, die Kontrolle erlangen und neue sensorische Eindrücke verarbeiten.

Die Darstellenden sind teilweise in ihren jeweils anderen Rollen schwer wiedererkennbar – und das ist als Kompliment gemeint. Nicht nur der Wechsel zwischen Intro- und Extrovertismus, auch die Übernahme von Manerismen oder kleinen Akzenten ist bemerkenswert gut vom Ensemble umgesetzt. Jonas Dasslers Wechsel zwischen den Charakteren erinnert dann schon an eine Vielfalt, die Tatiana Maslany in Orphan Black hinlegte. Aber auch durch die Einführung von „Talismanen“ – ein charakteristisches Schmuckstück, das in der Logik dieser Welt die Person selbst und nicht ihr Körper bei sich behält – bleibt jederzeit klar, wer gerade wer ist. Letztlich wird aber auch durch kurze Texttafeln noch erläutert, wer gerade in wem ist, eigentlich redundante Einblendungen, die aber gleichermaßen strukturierend den Film aufteilen und zum Schluss auch ein Stück bestätigen, was man eigentlich als aufmerksam Zuschauender bereits gerade gesehen hatte.

Körperchemie und mentale Krankheiten

Tatsächlich dreht sich die zentrale Frage des Filmes aber um die Frage, wie das delikate Zusammenspiel von Körperchemie und mentalen Krankheiten auf Menschen wirkt. Tatsächlich ist die Medikamentation in der Psychiatrie ja durchaus eine zentrale Behandlungsmethode, die eben darauf abzielt, Über- und Unterfunktionen mancher Nervenfunktionen oder Hormone zu regulieren. Hier geht der Film bewusst einen theoretischen Schritt weiter und stellt die Frage, ob in einem anderen Körper, mit einer anderen chemischen Balance, ein mentales Problem sich in den Griff bekommen lässt, das mentale Problem also tatsächlich doch ein rein körperliches ist.

Salopp eingeführt am erzählten Beispiel eines Drogenabhängigen, dessen Sucht ein anderer in dessen Körper ausstand, wandert der Film hier in tiefe emotionale Bereiche von Selbstzweifel und Depression. Er maßt sich zwar nicht an, diese Frage nach Körperchemie vs. Geistesverfassung eindeutig zu beantworten, genauso maßt er sich aber auch nicht an, ob die Anziehung zweier Menschen nur im körperlichen oder nur im geistigen liegt. Dieses dem Kernthema des Körpertauschs deutlich näherliegende Motiv spielt mit Bereichen von Homo- und Transsexualität, verwischt im Verlaufe des Filmes Geschlechter, Identitäten und Geschlechteridentitäten und vermeidet dabei Vorurteile weitgehend und stellt letztlich die unbeantwortbare Frage: Sind wir untreu, wenn wir jemand anderen in dem Körper dessen begehren, den wir auch sonst lieben?

Depressionen als Thema von Science Fiction

Körpertausch ist in unzähligen Filmen und Serien bereits mehrfach beleuchtet worden, meist aber aus einer reinen Comedy-Sicht (Freaky Friday). Dass nun ein deutschsprachiger Sci-Fi-Film dieses Storyelement in den neuen Kontext von Depressionen stellt, ist tatsächlich eine Innovation und mit vergleichsweise niedrigen Budget auch audiovisuell beeindruckend umgesetzt.

Fotos: X Verleih

Ron Müller

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