Der noch siebzehnjährige Paul Bäumer (Felix Kammerer) wird zusammen mit seinen Freunden von einem patriotischen Lehrer motiviert, sich mit einer gefälschten Erlaubnis seines Vaters zum Kriegsdienst zu melden. An der Westfront, im nordfranzösischen La Malmaison werden sie jedoch schnell mit dem wahren Schrecken eines Krieges konfrontiert, der schon seit Jahren sich in Schützengräben festgefahren hat.
Ein Kriegsfilm muss man mit anderen Kriegsfilmen vergleichen
Der Film startet in einem Fuchsbau, in der Ferne hört man ein Grollen. Dann der Blick auf ein Schlachtfeld, von Raureif überzogen. Vereinzelt knallen Schüsse in und um leblose Körper. Dann schleudert einen eine Explosion in einen der hektischen Schützengräben, aus denen die Soldaten sich in die Schlacht und viel zu oft direkt in ihren Tod stürzen. Eine brutale Schlacht, die in ihrer Unbarmherzigkeit wie Vehemenz an Der Soldat James Ryan erinnert. Nur im Ersten Weltkrieg und im kalten Winter.
Doch während Steven Spielbergs Filmmeisterwerk nach einer solch gewaltsamen Einführungssequenz mit seinem Publikum deutlich behutsamer umgeht, werden hier nur wenige Verschnauf-Momente gegönnt, während sich die Protagonisten des Films zerreiben. Im Westen nichts Neues gönnt seinen Zuschauern nichts. Immer wieder wird man bestialisch erinnert, dass dies Krieg ist, ohne Gewinner, ohne Helden, ohne Sieger, nur Tote.
Den Schrecken der Schützengräben hat auch 1917 (2019) bereits beeindruckend in einem Fake-One-Shot eingefangen. Da dieser Film dieses Stilmittel nicht verfolgen muss, kann er stattdessen sich ebenso lange auf einen Charakter fokussieren und ihn mit der Kamera verfolgen, um dann in einer ausgewählten Totalen die gesamte Szenerie wieder in Erinnerung zu rufen.
Oscarprämierte Kamera fängt Patriotismus wie Schrecken ein
Es ist das wandernde wie präzise Auge der Kamera, das immer wieder Momente voller Schönheit in einer Welt voller Schrecken einfängt. Jedes Bild ist wohlüberlegt, konstruiert, zeitweise extrem symmetrisch und gleichermaßen immer wieder erschreckend. Befehlshaber werden gerne mal oben abgeschnitten und ragen aus dem Bild heraus, unpersönlich. Nicht unmenschlich, jedenfalls nicht immer, denn erst nach kurzem Erkundigen nach dem Zustand des Soldaten erteilen sie den nächsten erschreckenden, wie nötigen Befehl.
„Auf in den Kampf – Für Kaiser, Gott und Vaterland!“ ist die Devise, für die sich junge Menschen hier begeistern lassen, geblendet von angeblichen Helden. Dass sie die Uniformen von Gefallenen, notdürftig geflickt, wieder auftragen, wundert sie nur kurz – die Notlüge „War wohl zu klein für den Kerl. Kommt immer wieder vor!“ überzeugt sie.
Aus diesen patriotischen Momenten werden wir wie sie an die Front geworfen, und schon bald wird der Schrecken klarer. Da sind es dann kleine Szenen, wie der Diebstahl einer Gans beim örtlichen Bauern, zunächst sogar ein erholsamer Moment. Fast schon ein kleiner Streich, der zunächst voll aufgeht und die Kameraden einander zu einem gemeinsamen „Fuchs du hast die Gans gestohlen, gib sie wieder her!“ anstiften lässt.
Fast nahtlos und brutal werden wir dann aber auch wieder zurück in das ewige Gefecht geworfen. Soldaten rennen lange durch den Fokus des Bildes, links und rechts um sie schlagen Geschosse ein. Wir erleben hautnah die Schrecken des Krieges, bis schließlich die Flucht jäh durch eine Explosion beendet wird, die den eben noch rennenden Protagonisten selbst durchs Bild katapultiert.
Unterhändler des Krieges
Kontrapunkt sind dann die Verhandlungen der Unterhändler und Generäle. Hier ist es dann der unerbittliche Kampf von Matthias Erzberger (Daniel Brühl, Good Bye, Lenin) um etwas Menschlichkeit, um die Rettung jedes einzelnen Soldaten in Angesicht von abstrakten Verlustzahlen. Dies findet in einer scheinbar so anderen Welt statt, einer Welt, in der die Frische von Gebäck und der formidable Zustand des auf Hochglanz polierten Schuhwerk relevanter ist, als das blanke Überleben.
Erzberger gehört in diese Welt, er ist selbst auch ein solch affektierter reicher Schnösel, doch ist er auch einer der Wenigen im Film, der erkennt, dass nur ein Waffenstillstand dieses grausame Patt beenden kann. Ein Sieg ist schier nicht mehr möglich, eine Erkenntnis schwer durchzusetzen zwischen all den ihn umgebenden Fanatikern. So ist er gleichermaßen selbst unsympathisch wie der einzige Lichtblick. Und macht diese Rolle damit umso fantastischer in dieser Zwiespaltigkeit.
Und dann die Musik
Atmosphärische, zurückhaltende Klangteppiche im Hintergrund werden immer wieder scharf von brutalen, drängenden Bässen in einer markanten Dreitonfolge durchbrochen. Ein gelungener, treibender wie auch deprimierender Score, der die Stimmung des Films unterstützt und besonders am Anfang die nahenden Schrecken vorhersagt. Später, als die erste große Konfrontation mit toten Kameraden stattfindet, wandelt sich dies kurzzeitig in sakrale Orgelmusik, die aber ebenfalls die markante Dreitonfolge lange aufrechterhält. Auch eine Variation mit Streichern führt später in ein immer verzweifelteres Drama.
Erst im letzten Akt, nach dem Waffenstillstand, gleitet die Musik für kurze Zeit fast euphorisch in quasi herkömmliche, klassische Klaviermusik ab und zeigt damit auch den so untermalten Diebstahl der Soldaten vom lokalen Bauern als neuen, willkommenen Alltag. Die sich hier annähernd wiederholende Szene wird untermalt und wiegt einen in einer ähnlich entspannten Stimmung wie die Protagonisten. Erst, nachdem die Musik ausgeklungen ist, klingt diese umso brutaler nach. Und wenn sie dann später wieder in den Dreiklang zurückfällt, wird klar wird, dass die Schrecken des Krieges trotz aller Hoffnung immer noch nicht vorbei sind und lange Zeit, vielleicht sogar immer nachklingen werden.
Ja, Volker Bertelsmanns (Hauschkas) Musik ist hier extrem gelungen. Und mittlerweile wie große Teile des Filmes auch zurecht Oscar-prämiert. Sein einfaches, wie variantenreiches Thema mit den brutalen drei Tönen ist dennoch einprägsam wie (ver-)störend.
Vom Buch zum Mediabook zum Oscar
Erich Maria Remarques gleichnamiger Literaturklassiker von 1929 hat bereits eine bewegte Geschichte hinter sich, wurde unter den Nazis kurzfristig verboten, und ist auch von vielen Kritikern gleichermaßen gelobt wie getadelt worden. Es wurde hier zum dritten Mal verfilmt, allerdings erstmalig von einem deutschen Filmteam.
Nun erscheint der Film als aufwändig produziertes, hübsches Mediabook mit 4K Ultra HD und Blu-ray, sowie einem üppig mit Filmbildern illustrierten 24-seitigen Booklet mit einem ausführlichen Interview mit Regisseur Edward Berger. Die Disc bietet darüber hinaus einen Audiokommentar vom Regisseur und ein Making-of, sowie Kinotrailer und Teaser.
Bei den Mitte März stattgefundenen Oscar-Verleihungen war er gleich neunmal nominiert und konnte den Preis viermal gewinnen, darunter die Preise für besten fremdsprachigen Film, beste Musik (Hauschka), bestes Szenenbild (Christian M. Goldbeck und Ernestine Hipper) und beste Kamera (James Friend). Ein überragender Erfolg für einen deutschsprachigen Film, der damit eine Siegesserie bei internationalen Preisverleihungen wie den BAFTAS und dem europäischen Filmpreis fortsetzte.
Fazit
Ein brutaler Film, den man kaum ein weiteres Mal erleben möchte. Er geht an die Nieren, berührt einen in so vielen Bereichen und doch erzählt er eine ganz einfache Geschichte: Die von einfachen Soldaten, geblendet von Propaganda, die sich in einem zermürbenden Stellungskrieg aufreiben lassen, während die Befehlsgeber im Hintergrund hier die unmenschlichen Entscheidungen verzögern. Nach 1917 vielleicht der eindrucksvollste Film über den Ersten Weltkrieg der letzten Jahre. Und das ganz unabhängig davon, dass das ein deutscher Film auf höchsten internationalen Niveau ist, ein stolzer vierfacher Oscar-Gewinner und ein Riesenerfolg für einen Streamingdienst-Film. Absolut sehenswert. Aber gleichzeitig kann man jeden verstehen, der sich dies nicht antun möchte.
(Titel-Foto: Reiner Bajo/Capelight Pictures)