Fanservice richtig gemacht: Star Trek: Picard (S03)

Dieser Text enthält entgegen der Gewohnheiten hier Spoiler

Man muss sich doch wundern, warum die ersten beiden Staffeln von Star Trek: Picard so stark in die Hose gingen, nachdem sie mit der dritten Staffel einen deutlich runderen Abschluss und gleichzeitige Verbeugung vor den Charakteren hinzulegen vermochten. Hier schaffen die Showrunner es nicht nur, einen Rundumschlag durch das klassische Star Trek zu machen, sondern auch tatsächlich für jeden einzelnen Charakter eine nachvollziehbare Entwicklung und vor allen ein zentrales Dilemma zu geben. Inkl. zahlreicher Gastauftritte, die tatsächlich nicht herausgesickert waren. Hätte man es besser machen können? Zweifellos, denn viel Canon wurde hier ignoriert. Aber diese Ignoranz war hier völlig gerechtfertigt.

Tabula Rasa

Die Autoren, allen voran der neue Headautor Terry Matalas, gönnten sich ein Tabula Rasa machen zu können und einen Großteil der (missglückten) Ideen der ersten beiden Staffeln einfach zu ignorieren. Die Tatsache, dass die Borg in Staffel eins und zwei vermenschlicht worden – was war das noch mal? Die Tatsache, dass Picard nun in einen Androidenkörper steckt – auch größtenteils egal. Die Tatsache, dass Brent Spiners Data sterben durfte – ach, wer stirbt in Star Trek schon entgültig (von Tasha Yar einmal abgesehen). Die Tatsache, dass Picard seine Liebe in einer Romulanerin gefunden hat – wäre hier nur im Weg, also weg damit.

Die alte Crew wieder auf dem alten Deck: LeVar Burton als Geordi La Forge, Brent Spiner als Data, Gates McFadden als Dr. Beverly Crusher, Michael Dorn als Worf, Marina Sirtis als Deanna Troi, Jonathan Frakes als Will Riker und Patrick Stewart als Picard. (Foto: Trae Patton/Paramount+.)

All dieser Ballast wird hier einfach weggeworfen und lediglich Seven of Nine und Raffi dürfen noch als Nebencharaktere weiter auftauchen – denn die große Bühne gilt hier der alten Crew. Und diese dürfen nun endlich auch Charakterentwicklungen zeigen, die mehr als nur Randnotizen sind:

  • Picard: Hatte sich damit abgefunden, dass seine Familie nur Starfleet ist und dass sein Borg-Trauma einfach durch Zeit und Aussöhnung weg gehen würde. Am Ende der Staffel hat er eine eigene Familie, ist offenbar wieder zusammen mit Crusher und klinkte sich freiwillig selbst ins Kollektiv wieder ein, um seinen Sohn zu retten.
  • Crusher: Hat die schwere Aufgabe zu begründen, warum dieser Redcon mit Jack überhaupt Sinn ergibt. Und schafft es in einem auch für uns absolut unangenehmen Streit mit Picard, dies nicht nur darzulegen, sondern nachvollziehbar zu machen. Nebenbei darf sie auch selbst zum Bad Ass werden.
  • Troi: Wird lange zurückgehalten in der Staffel, bis sie dann erst „nur“ von Riker gerettet werden muss. Bevor sie ihn selbst retten darf, im entscheidenden Moment an die Navigation springt. Und ganz nebenbei wird ihr eigenes Dilemma – dass sie die Enterprise-D einst gebruchlandet hat – damit auch adressiert.
  • Data: Darf nun endlich alt aussehen und gleichzeitig Emotionen erforschen, nur diesen einen Limerick, den ….
  • Worf: Ist auf den ersten Blick nun vor allen Comic-Relief – andererseits war er schon immer auf der Suche nach seinem Weg des Kriegers – und dass er das nun quasi als klingonischer Zen-Meister hinlegen darf, ist letztlich auch eine konsequente Weiterentwicklung.
  • La Forge: Muss sich zwischen Familie und Pflicht entscheiden – und darf, natürlich, weiter technobabbeln.

Nicht nur als Schmuckelemente

Ja, natürlich ist das Auftauchen all dieser Charaktere Fanservice, und solchen gab es auch schon in den anderen beiden Staffeln. Aber die Showrunner haben hier verstanden, dies tatsächlich nicht nur als Schmuckelemente, sondern tatsächlich auch für emotionale Beats zu nutzen. So räumt im Schiff-Museum Seven ein, dass sie tatsächlich an Bord der Voyager eine Familie gefunden hatte. Und lässt so in Jack, der sich selbst nach einer Vaterfigur und letztlich einer Familie sehnt, erkennen, dass diese Lücke vielleicht auf Starfleet sein könnte. Die Enterprise-D wird aus dem Lager geholt, wenn alle anderen, modernen Schiffe nicht mehr nutzbar sind, weil sie übernommen wurden (ja, da hat sich jemand großzügig bei Ronald D. Moores Battlestar Galactica bedient). Und dass der Computer immer noch in der (Archiv-)Stimme von Majel Barret spricht – und Riker diese Stimme vermisst hat –, ist eben nicht nur Rückschau, sondern funktioniert als Plotelement.

Auch Ro Laren taucht nicht nur mal eben auf – sondern entwickelt den Plot weiter und bringt nicht nur den Infodump, dass Starfleet infiltriert wäre, sondern sie zeigt dies auch gleich. Aber viel relevanter ist der alte, nicht ausgestandene Konflikt mit Picard selbst, der hier einen Abschluss bekommt, den mancher Fan nicht mehr wusste, überhaupt noch zu benötigen. Selbst der kurze, akustische Auftritt von Walter Koenig als Anton Chekov (Pavels Sohn und Präsident) dient dazu, den Plot weiterzutreiben.

Worf ist nun Comic Relief – und gleichzeitig als Charakter deutlich gewachsen. (Michael Dorn, Foto: James Dimmock/Paramount+.)

Im Gegensatz dazu gab es in den ersten Staffeln viel zu viel Fanservice, der die Story quasi nur pausiert hatte, während er auftrat. Riker und Trois Tochter darf ein paar mal durchs Bild tollen und dann wieder verschwinden. Guinan taucht auf, nur um dann in einem sinnlosen Recast nochmal aufzutauchen und dann eigentlich keine Rolle mehr zu spielen. Q darf sich eine Runde Rededuell mit Picard liefern, um dann als Plotdevice zu dienen. Und Wesley darf lediglich auftauchen, um einen losen Storyfaden zu „entsorgen“.

Es ist einfach, als Autor einfach nur ein altes Element aus einem jahrzehntealten Kosmos einer Serie auftauchen zu lassen. Dies nicht nur sinnvoll einzubauen, sondern auch die Story damit voranzutreiben, das sollte immer das Ziel gutes Storytellings sein.

Warum nicht gleich so?

Ja, natürlich wäre es wünschenswert gewesen, wenn alle drei Staffeln wirklich aufeinander aufgebaut hätten. Das haben die Showrunner nicht hinbekommen, teilweise wohl auch aufgrund der (vermeintlichen) Weigerung von Patrick Stewart, Uniformen zu tragen und auf einem Sternenflottenschiff zu sitzen. Dass beides zentrale Aspekte seines Charakters sind, war ihm wohl entfallen.

Hätte man all die Punkte, die Matalas nun für diese Staffel unter dem Teppich gekehrt oder schlicht ignoriert hat, noch sinnvoll zusammenbringen können? Vermutlich nur sehr schwierig. Und es hätte vermutlich den emotionalen Beats eher im Weg gestanden, wenn Picard erst noch seine gerade in der zweiten Staffel errungene Liebe hätte entsorgen müssen, oder die Borg-Queen gegen die andere Borg-Queen irgendwie hätte antreten müssen.

Den schwersten Job darf Ed Speleers als Jack Crusher in der Serie leisten, liefert aber einen vielschichtigen und für sich selbst interessanten Sohn von solch ikonischen Eltern. (Foto: James Dimmock/Paramount+.)

Spin-Off

Letztlich wird für ein weiteres Spin-Off in einen der, vielleicht eine Spur zu langen, Epilogen noch die Grundlage gelegt – und ja, dies scheint genau die Zutaten zu bieten, die man so mag am Star Trek-Universum: Eine Raumschiffbesatzung unter einem faszinierenden Captain, mit interessanten Offizieren, die nicht nur ständig mit sich selbst beschäftigt sind, sondern mutig losziehen, fremde Welten und neue Zivilisationen zu entdecken. Mit einem Showrunner Matalas an Bord könnte ein solches Schiff tatsächlich eine spannende Reise antreten.

Foto Header: Familie als zentrales Thema der Serie (Gates McFadden, Patrick Stewart und Ed Speleers, Foto: Sarah Coulter/Paramount+.)

Ron Müller

Rollenspieler auf der Suche nach neuen staffelübergreifenden Handlungssträngen.
docron.de

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