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Schirkoa: In Lies We Trust – Konformität durch Papiertüten

197A (Tibu Fortes) steht an der Schwelle eines Karrieaufschungs: Er darf zur Wahl antreten und ist nun wohl ein Politiker, der in den Rat aufrücken kann. Doch es gibt Gerüchte über Abtrünnige, die in einem Nachbarland das Undenkbare leben: Sie wagen es angeblich, keine Papiertüten auf ihren Kopf zu tragen. Und einigen sollen sogar Flügel wachsen.

Für einen rational-denkenden Bürger ist klar: Das kann alles gar nicht wahr sein. Aber andere Politiker im Rat nutzen diese Angst gezielt, um die Bevölkerung unter Kontrolle zu halten. Und dann kommt es zu einer Offenbarung …

Schirkoa: In Lies we Trust _ Trailer OMU

Die Tüte über dem Kopf

High-Concept-Filme provozieren meist mit einer besonderen Idee und treiben sie dabei auf die Spitze. Schirkoa macht dies mit dem Prinzip der Normierung. Der gesellschaftliche Zwang zur Kleidung wird eine Stufe weitergedreht: Alle Menschen müssen Papiertüten über ihrem Kopf tragen und sind so konditioniert, dass sie diese noch nicht einmal zum Zähneputzen oder zum Sex ablegen. Und während sich Kleidung durchaus dem gesellschaftlichen Stand und dem eigenen Modeerfinden anpassen darf, tragen alle eine rechteckige, beige Box mit zwei Löchern für die Augen, einem schmalen für den Mund und einer einmaligen Bezeichnung auf dem Karton. Zum Essen wird die Box kurz etwas nach vorne geöffnet.

Konzeptionell auf der Hand liegenden Fragen wird ausgewichen – wie wird das Haarwachstum eingedämmt? Wie oft muss eine solche Box ausgetauscht werden? Schwitzt man sie nachts beim Schlafen nicht durch? Ist sie wasserdicht, damit man Duschen kann? All das weigert sich der Film zu durchdenken. Kann man anfangs noch die These aufstellen, dass im Privaten die Tüte abgelegt werden kann, wird sie spätestens mit der Frage an 197A, ob dieser schon einmal das eigene Gesicht gesehen hätte, was dieser verneint, widerlegt. Dabei würde der Film mit einer solchen Scheu vor dem Nackten durchaus genauso gut funktionieren – eigentlich sogar besser.

Ein ungewohnter Animationsstil, basierend auf der Unreal Engine, mit starken Unschärfen (Bild: Rapid Eye Movies)

Vom Kurzfilm zur Graphic Novel zur Langform

Entstanden ist Schikora nach einem Kurzfilm und einer Graphic Novel und wurde völlig in der Unreal-Engine gedreht, mit der ansonsten vorrangig Computerspiele entstehen. Dies brachte den Vorteil, dass Szenen nicht lange rendern mussten, sondern quasi direkt live entstanden und so den Filmemachern eine große Freiheit bei der Szenengestaltung ermöglichten. Auch ein für Animationsfilme ungewohnten Look, mit starken Tiefenunschärfen, stark unscharfen Bildrändern und vielen Schwebepartikeln in der Luft, sowie starken Licht- und Blendeffekten konnte so umgesetzt werden. Dies verstärkt auch die Surrealität des Filmes. Einzelne Parts traditioneller Zeichentrick, zum einen im Fernsehen, zum anderen zur Erläuterung von Konzepten, durchbrechen dies, wirken aber nicht fehlplatziert.

Regisseur Shukla, der vorher bereits mit dem Kurzfilm The Bandits of Golak aus der Star Wars: Visions-Anthologie beeindrucken konnte, schafft so einen einmaligen Animationsstil. Der ist nicht immer schön und visuell überzeugend (und lange nicht vergleichbar mit einem visuellen Feuerwerk wie Spider-Man: Into the Spider-Verse), aber gerade durch diese Imperfektionen bleibt er durchaus einprägsam.

Teile des Films sind dennoch traditionell zeichentrick-animiert (Bild: Rapid Eye Movies)

Beide Seiten haben ihre Probleme – aber auch keine Lösungen

Inhaltlich versucht sich der Film an der Unvereinbarkeit von Konformität und Individualismus und versucht beiden Seiten ihre Extremen und auch kleineren Probleme vorzuhalten. Das ist bisweilen sperrig und unbequem und der Film verwehrt sich auch Antworten auf diese komplexen Fragestellungen – außer vielleicht, dass keine der Seiten Recht hat. Das ist komplexes Arthouse-Kino, leider bisweilen auch mal sehr konfus, aber mit einer spannenden Visualität. Der Film kann so Diskussionen, aber auch Ablehnung provozieren, ist sehenswert, aber nicht wirklich befriedigend.

„Schirkoa: In Lies We Trust“

IND/F/D, 2024
Regie: Ishan Shukla
Drehbuch: Ishan Shukla
Besetzung: Golshifteh Farahani, Asia Argento, SoKo, King Khan, Denzil Smith, John Sutton
3/5
„Schirkoa: In Lies We Trust“ läuft ab dem 29.08.2024 in unseren Lichtspielhäusern. Offenlegung: Ich habe einen OmdU-Screener gesehen.

Ron Müller

Rollenspieler auf der Suche nach neuen staffelübergreifenden Handlungssträngen.
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